Volltext: Die geschichtliche Entwickelung des Bewegungsbegriffes und ihr voraussichtliches Endergebniss (3)

Die geschichtliche Entwickelung des Bewegungsbegriffes. 
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führten Streitereien (worein sogar Theologen verwickelt gewesen sind) 
ein Ende nehmen könnten. Denn wiewohl die Kraft etwas Reales 
und Absolutes ist, so gehört doch die Bewegung in die Classe der 
respectiven Phänomene, und die Wahrheit liegt nicht sowohl aufSeiten 
der Phänomene, als auf Seiten der Ursachen«.1) 
Hier hat also Leibniz die Sonderung der vorher unpassender 
Weise verschmolzenen Elemente selber vorgenommen. Auf eine Ent¬ 
scheidung über die Realität der Bewegung verzichtet ergänz, und 
hält nur die Realität der Kraft aufrecht.2) Anderwärts heißt es : 3) 
»Deshalb ist die Bewegung ihrer eigenen Natur nach respectiv. 
Dies gilt aber nur in mathematischer Strenge. Indessen schreiben wil¬ 
den Körpern die Bewegung in Gemäßheit derjenigen Hypothesen zu, 
wodurch die Erscheinungen am angemessensten erklärt werden, und 
es ist gar kein Unterschied zwischen einer wahren und einer passen¬ 
den Hypothese. Wenn also ein Schiff mit vollen Segeln auf dem 
Meere dahinfährt, ist es möglich, alle Phänomene genau zu erklären, 
dadurch dass man das Schiff als ruhend voraussetzt und allen Welt¬ 
körpern in Gedanken Bewegungen beilegt, welche dieser Hypothese 
entsprechen. Aber so wenig dies auch durch irgend einen mathema¬ 
tischen Beweis widerlegt werden kann, so wäre es doch unpassend«. 
Hier kann man an dem Ausdrucke »Hypothese« mit Recht Anstoß 
nehmen. Da es außer dem Schiffe und dem übrigen Weltall nichts 
Materielles gibt und Leibniz einen »absoluten Raum« nicht annimmt, 
so bleibt ihm nur ein subjectiver Raum zur Bezugnahme übrig; wenn 
er anders, wie hier sicher feststeht, unter Bewegung eine Ortsverän¬ 
derung verstanden wissen will. Einen subjectiven Raum kann man 
aber eben so gut an das Schiff anheften, als an das Universum, und es 
handelt sich hier nicht um Hypothesen, sondern um Conventionen, 
die unter allen Umständen richtig sind, wofern sie nicht anderen be¬ 
reits anerkannten zuwiderlaufen. Wenn von zwei möglichen Conven- 
tlonen die eine minder praktisch ist, als die andere, so liegt hierin 
noch kein Grund, sie für minder richtig zu halten. Man wird sich bei 
b Leibnizens mathem. Schriften hrsg. v. Gerhardt. Bd. VI. p. 247 sqq. 
2) Vgl. Chr. Wolff, Cosmologia generalis, § 173. 
p J.Q ^ Dj'namica de Potentia et Legibus Naturae corporeae. Math. Schriften, Bd. VI.
	        
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