Volltext: Die geschichtliche Entwickelung des Bewegungsbegriffes und ihr voraussichtliches Endergebniss (3)

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Ludwig Lange. 
veränderten Eigenheit. Descartes hat den ursprünglichen Aristo 
telischen Ortsbegriff verlassen, und er hat sich anderseits gesträubt 
gegen die Zumuthung, Bewegung mit Ortsveränderung zu identifia 
ciren. Aber sein »motus proprie sumptus« ist thatsächlich von der 
Aristotelischen eigentlichen (nicht bloß accidentiellen) Bewegung 
nicht verschieden. Dieselbe Forderung der roh materiellen in Con- 
tiguität bestehenden Relation hier wie dort. Ein kleiner Unter¬ 
schied besteht höchstens in dem Zusatze, dass die Nachbarmaterie 
»als unbeweglich betrachtet« werden soll, und dieser Zusatz geht durch 
einfache Subjectivirung aus der Aristotelischen objectiv gehaltenen 
Lehre von der Unbeweglichkeit des Ortes hervor. 
Es wäre ein Anachronismus, diesen Begriff der »eigenthümlichen« 
Bewegung aus dem Standpunkte der heutigen Mechanik ausführlich 
kritisiren zu wollen. Er ist schon darum unbrauchbar, weil er eine 
einheitliche Bezugnahme von vornherein unmöglich macht : wenn man 
mit Descartes jeden Planeten räumlich auf seine eigene Atmosphäre 
bezieht, kann man die Beziehungen der Planeten untereinander nicht 
erkennen. Eben deshalb sieht sich auch Descartes selbst in seiner 
Darstellung des Weltganzen genöthigt, den vulgären Bewegungs¬ 
begriff zu Hülfe zu nehmen, wenngleich immer nur der »geometrischen 
Construction halber«, welche mit der Wahrheit hier Nichts gemein 
haben soll. 
Doch wir haben bis hierher Descartes’ Ansichten über die Be¬ 
wegung nur zum Theil und wahrlich nicht von der besten Seite ken¬ 
nen gelernt. Der Begriff der »eigentlichen« Bewegung hat wohl in die 
Cartesianischen Compendien der Physik1) zunächst Eingang ge¬ 
funden , aber heutzutage ist er mit Recht aus der Mechanik spurlos 
verschwunden. Von der größten historischen Bedeutung ist hingegen 
eine kleine Betrachtung, welche Descartes unmittelbar angeknüpft - 
hat; denn sie scheint den Zeitgenossen einen mächtigen Anstoß zn 
neuem Nachdenken gegeben zu haben und wirkt bis in die neueste 
Zeit nach. Er kommt zu dieser Ueberlegung aus Anlass des schon er¬ 
wähnten Zusatzes »wie unbeweglich betrachtet«. Unter welchen Um¬ 
ständen »sehen« wir einen Körper im Gegensätze zu anderen »ak 
ruhend an«? So musste sich Descartes fragen. Hören wir, was 
1) Z. B. Jac. Rohaulti Traetatus physicus. Amstelod. 1691.
	        
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