Die geschichtliche Entwickelung des Bewegungsbegriffes.
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durch welchen gezwungen sie der Bewegung des Zieles nothwendig
nachfolgt.1) Ja er lässt sogar erkennen, wie durch die verschiedene
geographische Breite des Geschützes und des Zieles eine geringe Ver¬
schiedenheit der mitgetheilten west-östlichen Geschwindigkeit der
Kogel und der gleichfalls west-östlichen Geschwindigkeit des Zieles
bedingt wird; eine Verschiedenheit, aus welcher in unserem Falle sogar
eine — allerdings verschwindend kleine — Abweichung gegen Osten,
und nicht gegen Westen resultiren würde (198). So scharf sind
diese Ausführungen, dass man ihnen, wie Wohlwill mit Recht her¬
vorhebt, das Princip der sogenannten experimentellen Beweise für die
Erdrotation ohne weiteres entnehmen kann.2) 'Galilei hätte viel¬
leicht solche Beweise selbst in Vorschlag gebracht, wäre er nicht an der
Möglichkeit hinreichend scharfer Beobachtungsmethoden von vorn¬
herein verzweifelt.
Wenn man in Erwägung zieht, wie Galilei zu seinem Gesetze
gelangt ist, so kann man nicht zweifeln, dass er dasselbe zunächst im
Sinne des trivialen geocentrischen Bewegungsbegriffes verstanden hat.
Denn von Erfahrungen über geocentrische Bewegungen hat er sich
bei seinen Ueberlegungen leiten lassen. Dass er auf diesem Stand¬
punkte nicht stehen geblieben ist, davon haben wir uns überzeugt ;
und wir können auch den Grund einsehen, warum er sich von ihm
hinwegdrängen ließ. Die geradlinige3) gleichförmige Bewegung ist
die denkbar einfachste und darum im Falle der einfachsten Bewegungs¬
bedingung, d. h. des Sich-selbst-überlassen-seins der Vernunft der
Natur am meisten gemäß : solches wird aller Wahrscheinlichkeit nach
Galileis leitender Gedanke gewesen sein. Dabei mag anfangs der
1) Bei früheren Copernicanem, z. B. Kepler (Opera T. III p. 461) fehlt es
emeswegs an beiläufigen Andeutungen in ähnlichem Sinne. Es liegt denselben
a ®r immer nur eine instinctive Erkenntniss des Beharrungsvermögens zu Grunde,
ve ches erst von Galilei zum wissenschaftlichen Princip erhoben worden ist.
gl. auch Wohlwill, a. a. O.
2) A. a. O. Zeitschr. f. Völkerps. u. Sprachw. Bd. XV. S. 101.
3) Die neueren Untersuchungen von Wohlwill (Ztschr. f. Völkerps. Bd.XIV,
hloßd' 6n -m Zweife1, ob Galilei bereits die geradlinige, ob er nicht vielmehr
lehrt I,16 ^eie.^örndf?e Bewegung sich selbst überlassener Körper ausdrücklich ge-
w at' au°k sei> jedenfalls steht jene Lehre von der geradlinigen Be-
terunn^i'lnVer^fnn^>arer Weise im Hintergründe der oben besprochenen Erör-
thut v er Projectilbahnen, und dass sie nicht zum expliciten Ausdrucke gelangt,
mer Nichts zur Sache.