Volltext: Die geschichtliche Entwickelung des Bewegungsbegriffes und ihr voraussichtliches Endergebniss (3)

366 
Ludwig Lange. 
Wahrheit. Yon ihrer Betrachtung müssen wir ausgehen und auch 
beständig auf sie Rücksicht nehmen, wenn wir anders zur Erkenntnis 
des Wahren gelangen wollen ; wir werden aber hiervon immer weit 
entfernt bleiben, wenn wir die Spiegelbilder mit den gespiegelten 
Dingen selbst verwechseln. Dies dürfte der Kern der Galilei’schen 
Methode sein. 
Fassen wir das Schema der Galilei’schen Bewegungsurtheile in 
wenige Worte zusammen, so ergibt sich diese Formel : Bewegung im 
allgemeinen ist Ortsveränderung in einem Anschauungsraume. Die 
wirklichen Bewegungen beziehen sich auf den Anschauungsraum 
der zweckthätig denkenden Natur ; die uns gegebenen Bewegungs¬ 
phänomene auf unseren Anschauungsraum, den wir, um ihn zu 
fixiren, an irgend einen gegebenen Körper anzuheften pflegen. 
Yon der größten Wichtigkeit ist es, sich die Stellung zu vergegen¬ 
wärtigen, worin Galileis eigene Auffassung seines Trägheitsgesetzes 
zu seinem Schema der Bewegungsurtheile steht. Wir brauchen hierzu 
nur die »Dialoge« zu berücksichtigen und nicht die »Discorsi« von 1638, 
worin er das Gesetz nur auf geocentrische Bewegungen anwendet. 
Aus den »Dialogen« ist auf das unzweideutigste zu sehen, dass er sein 
Gesetz, als ein Gesetz über die wirklichen Bewegungen der Körper, 
in aller Strenge ebenfalls auf den Anschauungsraum der Natur bezieht 
und es für geocentrische Bewegungen nur annäherungsweise gelten 
lässt. In der That ist aus seinen Betrachtungen über Projectilbahnen 
(166—202) mit voller Sicherheit zu schließen, dass er das genaue Be¬ 
zugssystem seines Gesetzes durchaus mit dem Bezugssysteme des 
Copernicus identificirt. Diese scharfsinnigen Ausführungen haben 
den gemeinsamen Zweck, die aus ballistischen Erfahrungen entnom¬ 
menen Gegengründe der Anticopernicaner zu entkräften. Die letzteren 
hatten, wie bekannt, u. a. behauptet, bei bewegter Erde müsste gegen 
die Erfahrung ein süd-nördlich abgeschleudertes Geschoss west¬ 
lich vom Ziel auftreffen, weil während seiner Flugzeit der Erdboden 
sich unter ihm von West gegen Ost hinwegdrehe. Galilei weist 
nun nicht allein nach, dass, vorausgesetzt die Richtigkeit der letzteren 
Annahme, die Abweichung viel zu gering sei, um constatirt zu wer¬ 
den; er führt auch aufs klarste aus, dass das Geschütz so gut wie das 
Ziel an der Bewegung der Erde theilnimmt und dass darum die Kugel 
vom Geschütz aus einen west-östlichen »impetus impressus« empfängt)
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.