Volltext: Die geschichtliche Entwickelung des Bewegungsbegriffes und ihr voraussichtliches Endergebniss (3)

Die geschichtliche Entwickelung des Bewegungsbegriffes. 
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derselben Bewegung das Weltall bewegt wird : wer sollte da glauben, 
dass die Natur (die doch nach dem übereinstimmenden Urtheile Aller 
nimmermehr unter Zuhülfenahme vieler Mittel ausführt, was sich mit 
wenigen zu Stande bringen lässt) die Auswahl getroffen haben 
könnte, eine unermessliche Anzahl der ausgedehntesten Körper mit 
einer nicht zu schätzenden Geschwindigkeit sich bewegen zu lassen, 
um Etwas zu erreichen, was durch eine verhältnissmäßig geringe Be¬ 
wegung eines einzigen um sein eigenes Centrum hätte erreicht werden 
können (1.30)?« Man sieht, Galilei denkt sich die Natur förmlich 
in ihrem Anschauungsraume operirend. So deutlich lässt sich 
diese großartige Auffassung weder bei Copernicus noch bei Kepler 
nach>veisen. Es fehlen ihnen nicht die einzelnen Gedanken, wohl 
aber noch die feste Verkettung zu einer einheitlichen philosophischen 
Naturbetrachtung. Kepler lässt die Einfachheit nur für ein Argu¬ 
ment der Wahrscheinlichkeit gelten und beruft sich zum Beweise der 
nothwendigen Wahrheit der neuen Lehre darauf, dass der Himmel all¬ 
umfassend sei und darum keinen Ort und keine Bewegung habe. Für 
Galilei ist eben die Simplicität der Lehre der beste Beweis ihrer 
Wahrheit und von dem durch Kepler vorgezogenen Argumente 
macht er, der den Aristotelischen Bewegungsbegriff überhaupt nicht 
mehr gelten lässt, keine Anwendung. Auf ihn passt demnach das auf¬ 
gestellte Schema viel besser, als auf seine Vorgänger. Ob er sich frei¬ 
lich unter dem Anschauungsraume ganz das gedacht hat, was wir uns 
dabei vorstellen, ist sehr fraglich und jedenfalls nicht sicher auszu¬ 
machen. Man wird wohl überhaupt nicht irren, wenn man Galileis 
Naturanschauung mehr für eine unmittelbare gefühlvolle Betrach¬ 
tung der Dinge als für ein scharf ausgeprägtes philosophisches System 
hält. !) 
Dass Galilei sich in seinen Untersuchungen von der Erfahrung 
leiten lässt und immer mit ihr in unmittelbarster Berührung bleibt, 
dies steht mit seiner Anschauung von der oftmaligen Transcendenz 
der Wahrheit gar nicht in Widerspruch. Unsere Wahrnehmungen im 
allgemeinen, und unsere Wahrnehmungen von Bewegungen im be¬ 
sonderen sind gewissermaßen nur Spiegelbilder der naturgemäßen 
_ 1) Vgl. W. Wundt, Logik Bd. II. S. 243, über das Simplicitätsprincip bei 
alilei, und seine Doppelgestalt. S. o. S. 353.
	        
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