Volltext: Die geschichtliche Entwickelung des Bewegungsbegriffes und ihr voraussichtliches Endergebniss (3)

Die geschichtliche Entwickelung des ßewegungsbegriffes. 
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Leben her gewohnt ist, nur stillschweigend nicht ausdrücklich, dem 
Worte »Bewegung« eine Relation unterzulegen. 
Ein Liehlingseinwand der Anticopemicaner war bekanntlich der, 
dass ein von der Höhe fallender Körper senkrecht und nicht schief 
auftrifft. Noch ehe das Beharrungsvermögen zum Principe erhoben 
war, wusste man diesen Einwurf durch die einfache Analogie eines 
vom Schiffsmaste fallenden Steines zu entkräften. Und diese Wider¬ 
legung musste um so sicherer wirken, als bei der Bewegung des 
Schiffes gerade der geocentrische Bewegungsbegriff vorausgesetzt 
wurde, welchen die Anticopemicaner beständig vor Augen hatten ! !) 
Kepler ist zu erwähnen als einer der ersten, wenn nicht der 
erste Copernicaner, welcher begriffliche Erwägungen über die Bewe¬ 
gung angestellt hat, ohne freilich über den Standpunkt des Coper¬ 
nicus selber wesentlich hinauszugehen.1 2) Was der Unterschied 
zwischen wahrer und scheinbarer Bewegung sei, erfahren wir von ihm 
eben so wenig, wie von seinem Vorgänger. Ein Fortschritt liegt aber 
immerhin darin, dass er auf gewisse Arten des Vorurtheils hin weist, 
wodurch bewogen wir eine scheinbare Bewegung für wirklich nehmen. 
So hebt er hervor, dass wir allemal geneigt sind, demjenigen von zwei 
Körpern die Ruhe zuzuschreiben, den wir (sei es mit Recht oder mit 
Unrecht) für den weitaus größeren halten.3) 
Sehr schön ist seine Auseinandersetzung der Simplicität des 
neuen Systèmes.2) Man sage doch nicht, dass sich der Hörsaal um den 
Kopf des Redners drehe ! Eben so widersinnig sei es aber anzuneh¬ 
men, dass die Fixsternsphäre um die Erde gedreht sei. »Die Natur 
führt nicht auf schwierigem und umständlichem Wege aus, was sie 
leichter erreichen kann«. Kepler fügt übrigens gleich hinzu, dass 
dies Argument nur für die Wahrscheinlichkeit des neuen Systèmes 
spreche, und schickt sich an, die Nothwendigkeit des letzteren zu er¬ 
weisen. Dieselbe folge aus der Annahme, dass es außerhalb des Him¬ 
mels Nichts weiter gibt. Hier schließt er sich also wieder unmittelbar 
an Copernicus an. Sehr urwüchsig nimmt er seinen Himmelsglobus 
zur Hülfe. »Denn bei der Umdrehung der Kugel hängen ihre Pole in 
1) Wohlwill, a. a. O. Z. f. Völkerps. Bd. XV. S. 94f. 
2) Epitome astron. Copernicanae 1618. Insbesondere vgl. Lib. I. P. V. (Opera 
VI. S. 168ff.). 
3) Ad Vitellionem Paralipomena 1603 Cap. X. (Opera ed. Frisch II. S. 333 ff.).
	        
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