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Ludwig Lange.
umfassendes Object nothwendig auch Bezugsobject, um so mehr als
sich durch diese Relation Alles am einfachsten, d. h. »naturgemäßesten«
darstellte. Bei consequenterer Anwendung seiner Principien hätte er
sich vielleicht überzeugt, dass es nicht allein falsch sei, der Fixstern-
sphäre eine Bewegung zuzuschreiben, sondern auch, ihr die Ruhe
zuzuschreiben. Denn Ruhe ist die andauernde Gegenwart am selben
Orte; was also keinen Ort hat, wie nach Copernicus selber die Fix¬
sternsphäre, das kann eben so wenig ruhen als bewegt sein. Dies blieb
ihm aber wiederum verborgen, weil er das von geocentrischen Erfah¬
rungen entlehnte Vorurtheil hatte, jedes Ding müsse an sich entweder
bewegt sein oder ruhen, ohne, wie wir dies thun, zu fragen, in Bezug
worauf.
Für das Verständniss der nachcopemicanischen Entwickelung des
Bewegungsbegriffes ist es wichtig zu bemerken, dass Copernicus in
der Anwendung des Simplicitätsprincipes auf das Problem der Welt¬
ordnung selber noch nicht die erreichbare Simplicität angewendet
hat. Seine Nachfolger seit Galilei verlegten den Punkt, wo das
Simplicitätsprincip gewissermaßen seine Kraft ausüben sollte, weiter
zurück in die letzten Grundsätze der neu entstandenen Dynamik, in¬
dem sie der Anschauung folgten, dass eben diese Grundsätze die denk¬
bar größte Einfachheit bekunden müssten. Nachdem sie in diesem
Sinne das Trägheitsgesetz aufgestellt hatten, konnten sie dann,
vorausgesetzt die Richtigkeit der gemachten Grundan¬
nahme, mit logischer Strenge die Wahrheit, und zwar die aus¬
schließliche Wahrheit des Copernicanischen Systèmes beweisen. Allein
diesen großen und schwierigen Schritt zu thun, war man naturgemäß
auch erst befähigt, nachdem man den Nutzen des Simplicitätsprin¬
cipes bereits an dem evidenten Beispiele des Copernicus selber
schätzen gelernt hatte. Dem entspricht es auch vollständig, dass sich
die Erkenntniss des Beharrungsgesetzes wesentlich aus dem Kampfe
der Weltsysteme heraus entwickelt hat. ')
Es bleibt mir nun noch übrig, mit einigen Worten auf den In¬
halt der ersten unechten Vorrede der »Libri de revolutionibus« ein¬
zugehen. Diese Vorrede rührt von dem Nürnberger Gelehrten
1) Vgl. Dr. E. Wohlwill, Die Entdeckung des Beharrungsgesetzes, Zeit¬
schrift für Völkerpsychologie Bd. XIV. XV.