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Ludwig Lange.
dingt auch der strenge Hinweis auf solche Incongruenzen. Ein ander
mal finden wir gar keine Definition des Begriffes vor, sind vielmehr
darauf angewiesen, aus den zahlreichen Anwendungen des fraglichen
Wortes eine Definition zu reconstruiren. Jede Definition dieser Art
wird an dem Mangel leiden, dass gewisse Anwendungen des erklärten
Wortes mit ihr nicht vereinbar sind, aus dem einfachen Grunde, weil
Verschiedenartiges mit einem Worte bezeichnet wurde. In solchen
Fällen kann es sich eben nie um die Construction einer den Anwen¬
dungen absolut congruenten, sondern nur einer ihnen möglichst con-
gruenten Definition handeln. Die Abweichungen der Anwendungen
von der construirten Definition sind aber auch dann noch so vollstän¬
dig als möglich anzugehen. In einem dritten Falle ist es überhaupt
unmöglich oder doch zwecklos, eine Definition zu reconstruiren : wenn
nämlich die Anwendungen des fraglichen Wortes nach allen Seiten
auseinandergehen. Alsdann wird man sich darauf beschränken müssen,
die wichtigsten Formen unter diesen Anwendungen hervorzuheben
und so gewissermaßen die widerstreitenden Elemente zu bezeichnen,
aus denen durch Abschleifung der Gegensätze einmal ein deftnirbarer
Begriff werden kann.
Wir haben hierbei stets zu bedenken, dass ein sich noch ent¬
wickelnder Begriff seiner Natur nach von inneren Widersprüchen nicht
frei ist: wäre er es, so fehlte ja jedes Motiv zu weiterer Entwickelung.
Wollte man nun erst das Endresultat der Entwickelung als einen
wirklichen »Begriff« gelten lassen, deshalb weil vorher eine congruente
Definition unmöglich ist, so würde man sich damit ganz ohne Noth
die Möglichkeit abschneiden, von einer Entwickelungsgeschichte der
Begriffe zu reden.
Fragen wir uns, wie es zugeht, dass selbst in der Wissenschaft
nicht selten durchaus verschiedenartige Dinge mit demselben Worte
bezeichnet werden, so haben wir insbesondere auf einen Umstand
unser Augenmerk zu richten. Die Anwendung des fraglichen Wortes
auf einen gegebenen Fall ist ein Act, welcher sich zumeist in unserm
unbewussten psychischen Organismus vollzieht. Dies gilt nicht
sowohl von rein wissenschaftlichen Terminis, als vielmehr von
denjenigen Worten, welche, wie das Wort »Bewegung«, im gewöhn-
1) W. Wundt, Logik, Bd. I. S. 86.