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David Selver.
Eigenschaft der Körper anzusehen sei, erklärt Leibniz : »Kein Streben
(conatus) dauert ohne Bewegung länger als einen Moment, außer in
den Geistern ; denn was in einem Moment der conatus ist, das ist die
Bewegung eines Körpers in der Zeit!. Hier öffnet sich die Pforte«,
fährt er fort, »durch welche man zurjwahren, bis jetzt noch von nie¬
mand gegebenen Unterscheidung von Körper und Geist gelangen
kann. Jeder Körper ist nämlich ein momentaner Geist (mens momen-
tanea), d. h. ein solcher, dem keine Erinnerung eigen ist, weil er sein
Streben und gleichzeitig das entgegengesetzte eines andern nicht über
einen Augenblick hinaus beibehält, während zu Empfindungs- und
Gefühlsäußerungen die Wahrnehmung von Action und Reaction noth-
wendig ist.«1)
Diejenigen Schriftsteller über Leibniz, welche in diesem Satze
die Monadenlehre bereits im »Keime« erblicken oder Leibniz mit
diesem Satze derselben »schon sehr nahe gerückt« finden,2) hätten be¬
achten sollen, dass Leibniz gerade in diesem Satze auf ganz
besonders zutreffende Weise die Bedingungen kenn¬
zeichnet, auf denen die Regungen des Psychischen be¬
ruhen und welche er im Bereiche des rein materiellen
Seins ausdrücklich als unerfüllt bezeichnet, während
doch die immanente Beseeltheit zu den wesentlichsten
Merkmalen des Monadenhegriffs gehört. Der Begriff des Co¬
natus , wie ihn Leibniz hier bestimmt hat, ist aber, auch abgesehen
von dem Momente des Seelischen, dem späteren Substanz- und Mo-
1) Nullus conatus sine motu durât ultra momentum praeterquamTn mentibus.
Nam quod in momento est conatus, id in tempore motus corporis : hic aperitur porta
prosecuturo ad veram corporis mentisque discriminationem hactenus a nemine expli-
catam. Omne enim corpus est mens momentanea seu carens recordatione, quia conatum
simul suum et alienum contrarium (duobus enim, actione et reactione, seu compara-
tione ac proinde harmonia, ad sensum et, sine quibus sensus nullus est, voluptatem
vel dolorem opus est) non retinet ultra momentum : ergo caret memoria, caret sensu
actionum passionumque suarum, caret cogitatione (§ 17).
2) In dem bezeichneten Sinne haben auf diese Stelle bereits Thomsen und
Brücker hingewiesen. Vgl. O. Caspari: »Leibniz, das Princip der Monade und das
Problem der Wechselwirkung« (Heidelberg 1869. S. 89). Auch die in der bereits
erwähnten Schrift von S. Auerbach enthaltenen, auf den Begriff des conatus bezüg¬
lichen Ausführungen scheinen uns nicht nur den eigentlichen Sinn dieses Begriffs zu
verfehlen, sondern sind auch an und für sich nicht frei von Widersprüchen. M. vgl.
S. 30u.31.