Der Entwickelungsgang der Leibniz'schen Monadenlehre bis 1695.
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griff der Action als Kraft für die ausschließliche Realpotenz des Seins
erklärte. Dass ein von jeder realen Bewegungspotenz absehendes,
lediglich der logischen Consequenz der Größencombination folgendes
Rechnen nicht einmal alle thatsächlichen Bewegungsformen, ge¬
schweige denn alle physikalischen Vorgänge erklären könne, war Leib¬
niz auch schon in der Theoria motus abstracti nicht entgangen. So
bemerkt er hier zu dem Satze, dass, wenn die unzusammensetzbaren
Antriebe der Bewegung gleich sind, die Richtung entweder gegen¬
seitig gestört oder nach der Mitte eine dritte mit Beibehaltung der
Geschwindigkeit »ausgewählt wird«: »Hic est velut apex rationali-
tatis in motu, cum non sola subtractione bruta aequalium, sed et
electione tertii proprioris, mira quadam, sed necessaria pru-
dentiae specie res conficiatur, quod non facile alioquin in
Geometria aut phoronomia occurrit« (§ 23).
Man sollte erwarten, dass die Wahrnehmung des von ihm hier
constatirten, wenn auch noch nicht vollkommen richtig erkannten
Phänomens , nämlich des sogenannten Parallelogramms der Kräfte, es
ihm nahe gelegt hätte, die Bewegungsursachen auch hinsichtlich
ihrer Intensität schon jetzt nicht als vollkommen in¬
different anzusehen, wie dies später die Einsicht in den Fehler
des Cartesianischen Satzes von der Constanz der Quantität der Be¬
wegung im Weltall zur Folge hatte; aber Leibniz befand sich damals
noch in dem Stadium seines Philosophirens, wo ihm die Aufdeckung
gewisser Schwierigkeiten keine unerwünschte Gelegenheit war zu
einem Recurs auf die höchste Weisheit.
Dazu kommt noch, dass, wie wir sahen, das speculative Wider¬
streben Leibniz’ während dieser Epoche mit besonderer Entschieden-
heit gegen eine immanente Auffassung der Bewegungsur¬
sachen gerichtet war. Er unterscheidet zwar Geschwindigkeits¬
grade der Bewegung, aber nicht im Sinne einer verschiedenen, spe¬
zifischen Intensität der Bewegungsenergien, sondern nur
nn Sinne seiner Continuitätslehre, vermöge deren jedes Theil-
element noch immer durch eine einschiebbare Größe differenzirt wer¬
den kann.
Und damit kein Zweifel darüber übrig bleibe, dass der conatus
durchaus nicht, wie es dem Wortsinne nach anzunehmen nahe läge,
als ein dem Körper innewohnendes Streben und eine immanente
wnndt, Philos. Studien. III.
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