Volltext: Der Entwickelungsgang der Leibniz‘schen Monadenlehre bis 1695 (3)

218 
David Selver. 
Bei der Bedeutung ferner, die in jedem geistigen Entwicklungs- 
process der Individualität, als dem substantiellen Träger desselben 
zukommt, und zwar in um so höherem Grade, je geistiger und schöpfe¬ 
rischer ihre Bethätigungsart ist, glauben wir auch, ehe wir uns der 
sachlichen Entwicklung unseres Gegenstandes zuwenden, noch einen 
Blick auf jene Studienweise Leibniz’ werfen zu sollen, in welcher die¬ 
jenige Art des wissenschaftlichen und philosophischen Strebens, als 
dessen Typus Leibniz mit Recht hingestellt zu werden pflegt, nicht 
nur ihre erste Bethätigung zeigt, sondern von welcher sie auch sicher¬ 
lich die nachhaltigsten Antriebe empfangen hat. Wir meinen Leib¬ 
niz’ geniale Art der Selbstbildung und seinen wissenschaftlichen und 
philosophischen Universalismus. 
Um den letztem nicht, wie es trotz der ebenso glänzenden wie 
durchaus zutreffenden Charakteristiken, die ihm von K. Fischer 
und E. Zeller zu Theil wurden, noch häufig geschieht, als äußere 
Polyhistorie und philosophischen Eklekticismus misszuverstehen1), 
muss man seine früheste, von einer schöpferischen Genialität geleitete 
Bethätigungsart kennen lernen, welche in allem Wissen instinctiv das 
Principielle und Entscheidende zu finden oder tiefer zu begründen 
suchte.'2) Der gewöhnliche Eklekticismus ist nicht nur unselbständig 
und unschöpferisch, sondern im Grunde auch einseitig. Leibniz ist 
beides nicht. Sein in der Philosophie wie in der Wissenschaft auf Aus¬ 
gleichung und Versöhnung des Gegensätzlichen gerichtetes Streben, 
das dieses Ziel durch Schöpfung höherer und umfassenderer Begriffe 
und Erweiterung der speculativen Gesichtspunkte zu erreichen trach¬ 
tet, wird vornehmlich durch eine Freiheit des Geistes geleitet, die in 
reichen, gründlichen Kenntnissen, besonders aber in einer schon früh¬ 
zeitig durch umfassende Selbststudien und Lectüre erworbenen Vor¬ 
urteilslosigkeit ihren Rückhalt hat und sich ebensosehr gegen land¬ 
läufige , herrschende, wie gegen verrufene , als gefährlich oder über¬ 
wunden geltende Ansichten zu behaupten weiß. 
Mit diesen in dem bezeichneten Sinne sfi fruchtbaren Selbststudien 
hat Leibniz, wie er in einer unter dem (wahrscheinlich als Übersetzung 
1) Man vgl. z. B. K. Grün, Kulturgesch. des 17. Jahrh. Bd. II. (1880.) 
S. 420 ff. 
2) Einige hierauf bezügliche Äußerungen Leibniz’ selbst vgl. man weiter unten 
S. 226, Anm. 1.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.