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David Selver.
folge nicht, wie die Scholastiker wollen, dass die Form als etwas Im¬
materielles in den Körpern selbstthätig ohne einen von außen kom¬
menden Anstoß die Bewegung hervorbringe; die Form könne zwar als
die Ursache der Bewegung angesehen werden, aber nicht als die
erste, denn kein Körper bewegt sich, wenn er nicht von außen her
bewegt wird, wie dies Aristoteles gezeigt habe (!). ') Leibniz deutet
also den aristotelischen Satz, »dass alles sich Bewegende nothwendig
von Etwas bewegt wird«, im Sinne des modernen physikalischen
Axioms, »dass alle Bewegungsursache außerhalb des Bewegten liege«,
was offenbar eine historisch unrichtige Auffassung ist. Denn für
Aristoteles konnte jenes bewegende Etwas in dem Bewegten selbst
enthalten sein. Es handelte sich hierbei nur um eine Scheidung dem
Begriffe nach, insofern bei jeder Bewegung der Grund derselben und
ihreThatsächlichkeit logisch auseinanderzuhalten sind. Das ist beson¬
ders daraus ersichtlich, dass Aristoteles selbst im ersten Bewegenden
noch diese zwei Momente unterschied und sich in Folge dessen zu der
Annahme genöthigt sah, dass das erste Bewegende selbst nicht be¬
wegt sein könne, denn als Grund der Bewegung kann es nicht zugleich
ihre Thatsächlichkeit darstellen. Es würde sonst selbst auf ein an¬
deres Bewegende als auf seinen Grund zurückweisen. Jedes Ding,
das von selbst in Bewegung gerathen kann;, ist daher nach Aristoteles
zunächst nur ein potentiell Bewegtes und die Bewegung wird in die¬
sem Sinne die Actualität des Potentiellen genannt.1 2)
Aber Leibniz kommt es bei diesen Ausführungen hauptsächlich
darauf an, die Bewegungsursache im Gegensatz zur immanenten Auf¬
fassung derselben von Seiten der Atomistik und theilweise auch Des¬
cartes’ als ein höheres, unkörperliches, der Materie durchaus nicht
immanentes Princip geltend zu machen. Und das sollte es ganz
besonders im Sinne des Aristoteles sein. »Motus materiae ab intelli-
gentia est, id est Deo«,3) glaubt er im Sinne des Aristoteles behaupten
zu dürfen. Aber hierfür war die Voraussetzung des Cartesianischen
1) Erdm. S. 52, XI.
2) Vgl. hierüber sowie über das Verhältniss der aristotelischen Lehre von der
Bewegung zu dem genannten Axiom der modernen Physik besonders die lichtvollen
Ausführungen W un dt’ s in seiner Schrift »Die physikalischen Axiome und ihre Be¬
ziehung zum Causalprincip.« Erlangen 1866. S. 21 ff.
3) Gerh. Bd. I. S. 10.