Der Entwicklungsgang der Leibniz'schen Monadenlehre bis 1695. 235
dankengang in einer ursprünglicheren, um nicht zu sagen naiverenForm
entgegen. Mit dem zweiten, ein halbes Jahr später verfassten Briefe
trat Leibniz trotz der von Thomasius schon auf die ersten Mitthei¬
lungen hin geäußerten Bedenken gegen ein solches Unternehmen* 1)
auch an die Oeffentlichkeit. Er ließ denselben seiner Ausgabe des
Marius Nizolius vorandrucken. 2 3)
Dieser zweite Brief, schon dem äußern Umfange nach als eine
Art von Abhandlung anzusehen, enthält neben den conciliatorischen
Ausführungen eine Übersicht über die metaphysischen und natur¬
philosophischen Lehrmeinungen Leibniz’ während jener Epoche und
dient also ganz besonders zur Wahrnehmung des Maßes, in welchem
Leibniz Cartesianische Lehrsätze zum Ausgangspunkt und zur Grund¬
lage seiner eigenen Spekulationen machte.
Auf die Thatsache, dass Leibniz schon während dieser Epoche
seines Lebens die Cartesianischen Schriften gekannt und fleißig stu-
dirt hat, werden wir, in sofern dieselbe besonders von Trendelenburg
in Frage gestellt und verneint wurde, erst weiter unten des Nähern
eingehen können, nachdem wir das philosophische Stadium, in wel¬
ches Leibniz mit diesem Zeitpunkte eingetreten ist, durch einige, be¬
sonders auf die Ausführungen des ersten Briefes an Thomasius sich
stützende, sachliche Darlegungen gekennzeichnet haben. In dieser
Richtung sei uns aber noch an Folgendes zu erinnern gestattet.
Die Schwierigkeiten, an denen das Unzulängliche der atomisti-
schen Naturerklärung von jeher an den Tag kam, bestehen bekannt¬
lich : erstens in dem Widerspruch der für die Anschauung unbegrenz¬
ten Theilbarkeit des materiellen Substrats und der logischen Nothwen-
digkeit, in der Theilung selbst an irgend einem Punkte Halt zu
machen, um letzte untheilbare Elementarsubstanzen zu gewinnen ;:i)
und fügt hinzu, der Brief sei»sicher vor der Schrift Confessio naturae geschrieben«.
Aber, abgesehen davon, dass die chronologische Voraussetzung hinsichtlich des Da¬
tums auf einem Versehen beruht, sprechen auch innere Gründe nur dafür, dass der
fraglicheBrief viel später geschrieben sein muss. Diese inneren Gründe ergeben sich
aus unserer Darstellung seines Gedankeninhalts.
1) Vereor, sagt Thomasius, ut ilia pax queat ipso satis volente sanciri siquidem
mentem philosophi paullo penitus rimemur. Gerh. I, 12.
2) Ep. ad . . . De Aristotele recentioribus reconciliabili. Gerh. IV p. 162 sq.
3) Vgl. Kant, Kr. d. r. V. Die transscend. Dialektik. Bch. II. Hauptst. II.
Abschn. II, zweite Antinomie.