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David Selver.
Motive würden doch schwerlich hingereicht haben, um Leibniz die
gänzlich unhistorische Basis seines Unternehmens übersehen zu lassen,
welches im Grunde auf nichts anderes hinauslief als auf eine Beibe¬
haltung der aristotelischen, ihrer ursprünglichen, sachlichen Bedeu¬
tung aber vollständig entkleideten Termini. Man müsste Leibniz ent¬
weder zumuthen, dass es ihm darum zu thun gewesen sei — um in
einem bekannten Gleichniss zu sprechen —, den neuen Wein in alte
Schläuche zu bringen, oder man müsste, wie das Charles Thurot auch
wirklich thut,1) annehmen, dass Leibniz die Schriften des Aristoteles
gar nicht im Original gelesen und die Philosophie desselben nur »im
Allgemeinen« und aus secundären Quellen gekannt habe. Wir lassen
die Erwägungen Thurot’s auf sich beruhen und bemerken nur, dass
uns das Ergebniss derselben unbegründet scheint.2) Die hier in Frage
stehenden conciliatorischen Versuche Leibniz’ haben für die entwicke¬
lungsgeschichtliche Untersuchung der Monadenlehre eben nur in so¬
fern ein sachliches Interesse, als sie einerseits zur Orientirung dar¬
über dienen, wie sehr das Leibniz’sche Denken in naturphilosophi¬
scher Richtung von Hause aus modern geartet und seit 1668 beson¬
ders von der cartesianischen Physik beeinflusst war, andererseits das
Problem erkennen lassen, dessen Lösung vor allem für dasVerhältniss
Leibniz’ zur mechanischen Naturerklärung entscheidend wurde.
Leibniz legte seine hier zu behandelnden Versuche zunächst in
zwei Briefen an Jacob Thomasius nieder. Von diesen zwei Briefen
gehört der eine bereits dem Jahre 1668 an.3) Hier tritt uns der Ge-
1) Revue critique 1867 ; 2^me sem. p. 75 sq.
2) Leibniz würde wohl Anstand genommen haben, seinem als Peripatetiker und
Kenner der Originalschriften der alten Philosophen immerhin bekannten und von ihm
selbst in dieser Beziehung oft gerühmten Lehrer Deutungen und Auslegungen des
Aristoteles vorzulegen, wenn nicht bei beiden die stillschweigende Voraussetzung ob¬
gewaltet hätte, dass dies auf Grund eingehender Studien und quellenmäßiger Kennt-
niss der aristotelischen Schriften geschehe.
3) Gerh. Phil. Sehr. I S. 9 ff. Die Antwort des Thomasius auf diesen Brief ist
vom 2. October datirt, während das Schreiben Leibniz’ das Datum »Francof. 6 Cal.
Octobr. 1668« trägt. Der Herausgeber sah sich veranlasst, darauf hinzuweisen, dass
das Datum dieses Leibniz’schen Briefes, nach dem des Thomasius zu schließen, un¬
richtig sein müsse. Gerh. scheint aber übersehen zu haben, dass »6 Cal. Octobr.« den
26. September bedeutet, und dass somit die Antwort des Thomasius schon sehr wohl
$m 24 October geschrieben sein konnte. S. Auerbach (Zur Entwickelungsgeschichte
der Leibniz’schen Monadenlehre, Berlin 1884, S. 18) hat diesen Umstand gleichfalls
übersehen, und zwar, nach der Art seines Citirens zu schließen, unabhängig von Gerh.,