Studien zut Biinden-Psychologie.
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Es erhebt sich nun die Frage, welche Bedeutung die SVn für
den Blinden haben können. Dieselben dürfen nicht schlechthin den
SVi untergeordnet werden, da die letzteren einen hohen praktischen
Werth besitzen, während es für das Verhalten der Blinden gegen
die Außenwelt ganz gleichgültig ist, ob den Farbennamen ein Vor¬
stellungsinhalt entspricht oder nicht. Eine Bereicherung der Vor¬
stellungswelt wird, wie leicht einzusehen, durch diese Surrogate
keineswegs bewirkt, denn es handelt sich hier stets um Anwen¬
dungen und Modificationen der durch unmittelbare Wahrnehmung
gewonnenen Bewusstseinselemente. Wenn also die Bedeutung der
SVn nicht in der Vorstellungsseite begründet sein kann, so bleibt
nur die andere Möglichkeit, dass dieselben auf die Gefühlslage des
Bewusstseins jeweils einen entsprechenden Einfluss ausiiben. Nun
hat die psychologische Analyse ergeben, dass es weder empfindungs¬
freie Gefühle noch auch gefühlsfreie Empfindungen gibt. Das
eigentlich Wirksame in den SVn sind lediglich die Gefühlsmomente,
und der Vorstellungsseite kommt nur insofern eine Bedeutung zu,
als jedes Gefühl einer Vorstellungsgrundlage bedarf. Bei der Lec-
türe jener Stelle in Schiller’s Glocke, wo es heißt: »Roth wie
Blut ist der Himmel« ist nach den Angaben von Gustav K. nicht
zu beobachten, dass hierbei die betreffenden Accorde auftauchen,
vielmehr tritt nur der Stimmungscharakter derselben hervor und ihr
innerer Zwiespalt erzeugt eben jene Gemüthslage, welche offenbar
der Dichter hervorbringen wollte. Nicht anders verhält es sich mit
jenem kleinen Gedicht, das Hitschmann Seite 396 seines Auf¬
satzes anführt *). Wollte man hier für jede Farbenbezeichnung, für
jedes nur dem Lichtsinn zugängliche Object die entsprechende
Surrogatvorstellung substituiren, so ergäben sich die seltsamsten Un¬
geheuerlichkeiten. Aber nicht die Surrogatvorstellungen als solche
Dissert. 1889. Ob und inwieweit der Farbenname [bei diesen Associationen in
Rücksicht kommt, ist noch nicht festgestellt. — Eckardt, »Vorschule der
Aesthetik«, 1864, S. 336, erzählt von einem im frühen Lebensalter erblindeten
Mann, der die Fähigkeit bewahrt hatte, »Namen, Worte, Personen innerlich als
Farbe zu empfinden«. (Citirt nach Liesegang, Naturwissenschaftl. Wochenschr.
VIII, S. 359.)
1) Hitschmann, Zeitschr. f. Psychologie u. Physiologie d. Sinnesorgane,
III, a. a. 0.