Volltext: Studien zur Blinden-Psychologie, Schluss (11)

'Studien zur Blinden-Psychologie. 
559 
isolirt im Bewusstsein bleiben, sondern vielmehr Anstöße zu einer 
Reihe apperceptiver und associativer Beziehungen, zu Combinationen 
wechselnder Art geben, die dem Blinden einen theilweisen Ersatz 
für den Ausfall directer Wahrnehmungen ermöglichen. Aber die 
SV bleiben insofern bevorzugt, als sie in dem Wechsel möglicher 
Beziehungen den festen, weil auf unmittelbarer Auffassung beruhen¬ 
den Grundstein darstellen. 
Die Namen, welche sich auf specifische Eigenthümlichkeiten 
des Gesichtssinns beziehen, sind für den Blinden zunächst nichts 
als leerer Schall. Der Blinde erfährt aber fortwährend durch Lectüre 
und Umgang die hohe Bedeutung, welche die Verhältnisse des 
Lichtsinns für den Sehenden besitzen. Die Lichtberaubten fühlen 
sich namentlich mächtig angezogen von poetischen Kunstwerken1), 
indem die Rhythmik, der ästhetische Eindruck des Reims, die 
klangvollen Worte zunächst ihr musikalisches Interesse erregen, was 
den Umstand erklärt, dass Blinde für Dichtungen Vorliebe zeigen, 
die ihnen wegen der Hervorhebung von Beziehungen des Gesichts¬ 
sinns ihrem wahren Inhalte nach kaum verständlich sein können. 
Die poetische Sprache mit ihren zahlreichen Umschreibungen und 
Vergleichen gibt aber den wichtigsten Anlass zur Entwicklung von 
SVu, die selbstverständlich sämmtlich disparater Natur sind und 
den verschiedensten Sinnesgebieten angehören können. Selbst für 
denselben Farbennamen ergibt sich im Anfang ein eigenthümliches 
Schwanken der SV nach den vieldeutigen Beziehungen, die zwischen 
Farbennamen und Objecten möglich sind. Da es sich hierbei viel¬ 
fach ereignen muss, dass eine SV, welche ihre Entstehung der 
charakteristischen Verbindung der Farbe mit einem bestimmten Ob¬ 
ject verdankt, in anderen Fällen nicht anwendbar ist, dass also eine 
vorher gewonnene SV einer anderen auf diese specielle Verbindung 
bezüglichen Platz machen muss, so wird der Blinde schließlich zu 
umfassenden SV, denen der Charakter relativer Constanz zukommt, 
geleitet, welche in den meisten Fällen lediglich dem Gehörssinn 
angehören. Hierbei sind nun zwei Möglichkeiten vorhanden. 
Entweder gibt der Klang der Worte selber die Veranlassung zur Aus- 
1) Vergleiche hierzu Hitschmann, »Der Blinde und die Kunst«, Viertel¬ 
jahrsschrift für wissenschaftliche Phüosophie, XVII, S. 312 £F.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.