Volltext: Studien zur Blinden-Psychologie, Schluss (11)

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Theodor Heller. 
sondern, entsprechend ihrem Wesen als intermittirender Function 
nach kurzer Zeit gleichsam unter ihre Schwelle sank, um sich 
späterhin in unregelmäßigen Perioden wieder zu erheben und zu 
senken 4). Bei der Auffassung von der Schwelle naheliegenden 
Empfindungen, bei welchen nach den Untersuchungen Marbe’s 2) 
das Sinken der Aufmerksamkeit länger währt als die Erhebung, ist 
die Wahrscheinlichkeit eine sehr geringe, dass speciell in unserem 
Falle die Erhebung über die Aufmerksamkeitsschwelle gerade 
zusammenfällt mit dem Zeitpunkt, in welchem der Beobachter die 
Wand erreicht hat3 4). Demnach ist bei den Annäherungsempfin¬ 
dungen die rasche Aufeinanderfolge des Eintretens der Gehörs- und 
der TastWahrnehmung eine unerlässliche Bedingung für die klare 
Apperception der letzteren. 
Das Verhalten des Blinden bei Annäherung eines Hindernisses 
lässt sich daher folgendermaßen kennzeichnen: die Wahrnehmung 
des modificirten Schrittgeräusches veranlasst denselben, seine Auf¬ 
merksamkeit vorbereitend auf die Tastsensationen zu richten. Treten 
alsbald die charakteristischen Druckempfindungen in der Stirngegend 
auf, so weiß der Blinde mit Bestimmtheit, dass sich ein Hinderniss 
in der Bewegungsrichtung befindet, und er wird hierdurch zu recht¬ 
zeitigem Ausweichen veranlasst. Somit kommt der Gehörscompo- 
nente der Annäherungsempfindungen die Bedeutung eines Signal¬ 
reizes zu, welcher die Aufgabe hat, die Hemmung anderweitiger 
Erregungsvorgänge im Apperceptionscentrum zu veranlassen, welche 
die Aufmerksamkeit ablenkend beeinflussen könnten 4). 
1) Vergleiche Wundt, Physiologische Psychologie, II (4. Aufl.) S. 295ff. 
2) Phil. Studien, VIII, S. 630 ff. 
3) In sehr interessanter Weise offenbarten sich die Schwankungen der Auf¬ 
merksamkeit anlässlich eines Versuches, den ich ursprünglich zur Ermittelung der 
Hörschärfe des blinden Eduard B. anstellte. An einem horizontalen Maßstab war 
eine Uhr durch Schnüre, die über eine Rolle gingen, verschiebbar befestigt. Als 
ich dieselbe in einer Entfernung von genau 1 m einstellte, glaubte die Versuchs¬ 
person zunächst eine Annäherung der Uhr wahrzunehmen, dann entfernte sich 
dieselbe und oscillirte hierauf scheinbar unregelmäßig um den Ruhepunkt. Nicht 
bloß eine geradlinige Verschiebung, sondern auch eine Abweichung nach oben 
und unten, rechts und links glaubte die Versuchsperson zu bemerken. Hier 
wurden also die Schwankungen der Aufmerksamkeit in gewissem Sinne objectivirt. 
4) Wundt, Physiologische Psychologie, II (4. Aufl.) S. 276.
	        
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