Volltext: Studien zur Blinden-Psychologie, Schluss (11)

Stadien iur Blinden-Psychologie. 
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weiter als 3—4 m, so erwiesen sich die Angaben der Blinden als 
völlig unzulänglich. Das Hinderniss wurde nicht selten übersehen, 
anderenfalls blieben die Blinden oft in beträchtlicher Entfernung 
vor demselben stehen. Ueber die Ursache dieses Verhaltens befragt, 
gaben die Versuchspersonen an, dass sie nur im Anfang den Druck 
deutlich empfänden. Nach diesen Ergebnissen wird man kaum 
Unrecht thun, wenn man annimmt, dass weder der Tast- noch der 
Gehörscomponente der Annäherungsempfindungen eine selbständige 
Bedeutung zukommt. 
Wir haben nun im Folgenden die Frage zu beantworten, in 
welcher Weise Gehörs- und Tastempfindungen bei der Auffindung 
der Bewegungshindernisse Zusammenwirken. Die durch Interferenz 
der Schallwellen hervorgebrachte Dämpfung des Schrittgeräusches 
ist offenbar in weiterer Ferne merklich als die schwachen, durch 
Reflexion der Luftbewegung erregten Druckempfindungen. Zugleich 
vermag die Gehörswahrnehmung in Folge ihrer relativ größeren 
Intensität die passive Apperception des Blinden zu erregen, während 
die der Schwelle sehr nahe liegenden Druckempfindungen über¬ 
haupt nur bei intensiver Aufmerksamkeitsspannung bemerkt werden 
können. Trotz dieser Bevorzugung fehlt jedoch der Gehörscompo¬ 
nente ihre eindeutige Beziehung. Der Blinde ist nicht immer im 
Stande, mit Sicherheit anzugeben, von welcher Seite der Schall re- 
flectirt wird, er nimmt eben unmittelbar nur die durch die Schall¬ 
reflexion bewerkstelligte Modification seines Schrittgeräusches wahr. 
Die letztere kann aber auch bisweilen einem andern Motiv ent¬ 
springen, z. B. dem stärkeren Mitschwingen eines Theiles des Fu߬ 
bodenbeleges. Das einzige Kriterium, das völlig eindeutig das 
Herannahen eines größeren Hindernisses vorhersagt, ergibt die in 
der Stirngegend auftretende Druckempfindung. Für diese erzeugt 
aber die constant vorhergehende Gehörswahrnehmung jenen vor¬ 
bereitenden Zustand der Erwartung, ohne welchen die Auffassung 
der minimalen Tastempfindungen überhaupt nicht möglich wäre. 
Die Thatsache, dass in den vorerwähnten Versuchen der charak¬ 
teristische Druck in der Stirngegend nur im Anfang der Bewegung 
bemerkt werden konnte, die Aufnahmsfähigkeit sich aber alsbald 
abstumpfte, erklärt sich daraus, dass die Aufmerksamkeit den Tast¬ 
empfindungen nicht in continuirlicher Weise zu folgen vermochte, 
Wundt, Philos. Studien. XI. 37
	        
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