Volltext: Studien zur Blinden-Psychologie, Schluss (11)

532 
Theodor Heller. 
entspringen, die zum freien Festhalten des Instruments erforderlich 
ist. Hierbei kommen noch überdies jene äußeren Tastempfindungen 
in Rücksicht, welche dem Blinden eine Vorstellung von dem Stoff des 
Instruments verschaffen. In wiederholten Erfahrungen hat der Blinde 
eine Beziehung zwischen Gewichts- und Längenzunahme des aus 
einem bestimmten Stoff gefertigten Instruments herzustellen gelernt; 
überdies gibt ihm die Wahrnehmung des Luftwiderstandes für die 
Entfernungsschätzung einige Anhaltspunkte. Ein sicheres Urtheil 
ermöglichen aber all’ diese Kriterien nicht, wovon man sich leicht 
überzeugen kann, wenn die Versuchsperson nachträglich zur Auf¬ 
suchung des verwendeten Instruments aus einer Reihe analoger, 
bloß der Größe nach abgestufter Stäbe aufgefordert wird. Als 
Specialfall der doppelten Berührungsempfindung kann das sog. Fern¬ 
tasten des Blinden gelten, für welches früher ein besonderer sechster 
Sinn als Fernsinn angenommen wurde1). Hier übernimmt nicht ein 
starres Instrument die Vermittlung zwischen Object und Beobachter, 
sondern die leichtbewegliche Luftsäule, wobei allerdings nicht mehr 
irgend eine Vorstellung des mittelbar betasteten Objectes zu Stande 
kommt, sondern bloß die unbestimmte Wahrnehmung eines in der 
Bewegungsrichtung befindlichen Hindernisses. Alle diese Verhält¬ 
nisse ändern jedoch nichts an der Thatsache, dass der Tastsinn 
Vorstellungen nur bei Berührung der Objecte zu entwickeln im 
Stande ist. Diese Berührung kann aber in doppelter Weise erfolgen, 
entweder unmittelbar, wenn ein directer Contact zwischen Object 
und sensibler Fläche besteht, oder mittelbar, wenn zwischen beide 
ein indifferentes Medium eingeschoben wird. Da nun eine Fern¬ 
wahrnehmung durch den Tastsinn nicht möglich ist, so ergibt sich 
von selbst, dass der Orientirung des Blinden, so lange dieselbe aus¬ 
schließlich auf haptische Verhältnisse begründet ist, nicht unerheb¬ 
liche Schwierigkeiten entgegenstehen müssen. Die Vorstellung der 
Lage eines Objects im Raume beschränkt sich beim Blinden zunächst 
auf die Vorstellung der eigenen Bewegung; innerhalb des weiteren 
Tastraumes kommen hierbei die Bewegungen der Arme, außerhalb 
desselben die Bewegungen des Gesammtkörpers in Betracht. Zu 
einer Vorstellung entfernter Gegenstände gelangt der Blinde erst 
1) Vergleiche darüber den folgenden Abschnitt, S. 544.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.