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Theodor Heller.
entspringen, die zum freien Festhalten des Instruments erforderlich
ist. Hierbei kommen noch überdies jene äußeren Tastempfindungen
in Rücksicht, welche dem Blinden eine Vorstellung von dem Stoff des
Instruments verschaffen. In wiederholten Erfahrungen hat der Blinde
eine Beziehung zwischen Gewichts- und Längenzunahme des aus
einem bestimmten Stoff gefertigten Instruments herzustellen gelernt;
überdies gibt ihm die Wahrnehmung des Luftwiderstandes für die
Entfernungsschätzung einige Anhaltspunkte. Ein sicheres Urtheil
ermöglichen aber all’ diese Kriterien nicht, wovon man sich leicht
überzeugen kann, wenn die Versuchsperson nachträglich zur Auf¬
suchung des verwendeten Instruments aus einer Reihe analoger,
bloß der Größe nach abgestufter Stäbe aufgefordert wird. Als
Specialfall der doppelten Berührungsempfindung kann das sog. Fern¬
tasten des Blinden gelten, für welches früher ein besonderer sechster
Sinn als Fernsinn angenommen wurde1). Hier übernimmt nicht ein
starres Instrument die Vermittlung zwischen Object und Beobachter,
sondern die leichtbewegliche Luftsäule, wobei allerdings nicht mehr
irgend eine Vorstellung des mittelbar betasteten Objectes zu Stande
kommt, sondern bloß die unbestimmte Wahrnehmung eines in der
Bewegungsrichtung befindlichen Hindernisses. Alle diese Verhält¬
nisse ändern jedoch nichts an der Thatsache, dass der Tastsinn
Vorstellungen nur bei Berührung der Objecte zu entwickeln im
Stande ist. Diese Berührung kann aber in doppelter Weise erfolgen,
entweder unmittelbar, wenn ein directer Contact zwischen Object
und sensibler Fläche besteht, oder mittelbar, wenn zwischen beide
ein indifferentes Medium eingeschoben wird. Da nun eine Fern¬
wahrnehmung durch den Tastsinn nicht möglich ist, so ergibt sich
von selbst, dass der Orientirung des Blinden, so lange dieselbe aus¬
schließlich auf haptische Verhältnisse begründet ist, nicht unerheb¬
liche Schwierigkeiten entgegenstehen müssen. Die Vorstellung der
Lage eines Objects im Raume beschränkt sich beim Blinden zunächst
auf die Vorstellung der eigenen Bewegung; innerhalb des weiteren
Tastraumes kommen hierbei die Bewegungen der Arme, außerhalb
desselben die Bewegungen des Gesammtkörpers in Betracht. Zu
einer Vorstellung entfernter Gegenstände gelangt der Blinde erst
1) Vergleiche darüber den folgenden Abschnitt, S. 544.