Volltext: Studien zur Blinden-Psychologie, Fortsetzung (11)

Studien zur Blinden-Psychologie. 
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In neuerer Zeit hat die Blindenpädagogik eine Disciplin aus¬ 
gebildet, welche, abgesehen von ihrem hohen Werthe für die Ent¬ 
wicklung des räumlichen Tastens, auch für die Zwecke der Vor- 
stellungscontrole in ausgezeichneter Weise befähigt erscheint. Wenn 
der Blinde in der Lage ist, ein ihm vorgelegtes Object plastisch 
nachzubilden, so kann man sich der Ueberzeugung hingeben, dass 
derselbe zu einer adäquaten Vorstellung des betreffenden Gegen¬ 
standes gelangt ist. Die Betrachtung der Tastbewegungen, welche 
jene Blinden üben, die auf diese Art einen Beweis für ihre exacte 
räumliche Auffassung erbracht haben, lässt erkennen, dass diese Be¬ 
wegungen stets in einer bestimmten regelmäßigen Anordnung erfolgen, 
die bei allen Blinden, welche auf der gleichen Höhe der Tastent¬ 
wicklung angelangt sind, überdies noch einen übereinstimmenden 
Charakter aufweist. Dieses spontan hervorgebrachte Tastsystem 
wird nun die Grundlage für unsere nächsten Betrachtungen bilden, 
während wir uns erst im folgenden Abschnitt den Thatsachen der 
Tastentwicklung zuwenden wollen. 
Man hat den Vorgang beim analysirenden Tasten sehr einfach 
derart beschrieben, dass man angab, der Blinde bewege die Spitze 
seines Tastfingers längs der Begrenzungslinien des Gegenstandes, 
dessen Conturen er auf diese Weise gleichsam nachzeichne, um 
derart ein Bild des betasteten Objectes zu erhalten1). Das synthetische 
Tasten wird hierbei als eine unvollkommene Vorstufe dieser genaueren 
Tastart aufgefasst. Das also beschriebene Tasten entspricht nun in 
der That den denkbar einfachsten Verhältnissen, da es unter allen 
Umständen innerhalb der Bewegungssphäre des Armes anwendbar 
ist. Wenn aber eine solche Nachzeichnung möglich sein soll, dann 
darf der Gegenstand während des Tastaktes seine Lage zum Be¬ 
obachter nicht ändern. Nun ergibt eine einfache Beobachtung, dass 
hierbei nicht alle Bewegungen des Tastfingers in derselben bequemen 
Weise erfolgen können, indem namentlich zur Compensation der 
Armschwere ein wechselnder Aufwand von Energie erforderlich ist. 
Demnach werden die einzelnen Bewegungen, selbst innerhalb der- 
1) Diderot, Lettre sur les aveugles. Friedrich Schuster, Ueber die 
Sinneswahrnehmung des Blinden, Berlin 1880, S. 12. Aehnlich auch Hocheisen, 
Der Muskelsinn des Blinden, S. 31.
	        
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