Volltext: Studien zur Blinden-Psychologie, Fortsetzung (11)

Studien zur Blinden-Psychologie. 
467 
Wörter auf einander: Weinlaub, Rebe, Winzer, Keller. Statt 
»Keller« wurde »Kelter« gelesen. 
6) Beim Lesen der sinnlosen Wörter waT bei einer Versuchs¬ 
person eine rhythmische Gliederung des Lesestoffes wahrzunehmen. 
Je vier Wörter wurden gleichsam als ein Takt zusammengefasst. 
7) Streute ich in die zweite Versuchsreihe einige sinnvolle 
Wörter ein, so ergab sich eine bedeutende Zunahme der Ver¬ 
lesungen zu Gunsten der letzteren. So wurden statt zweisilbiger 
Zusammenstellungen, welche sich von bekannten Eigennamen nur 
durch Veränderung der Vokale unterschieden, fast regelmäßig die 
betreffenden Eigennamen gelesen, so z. B. statt Radulf Rudolf, 
statt Rubirt — Robert. Diese Verlesungen ergaben sich vorzugs¬ 
weise bei der Verwendung der Brailleschrift. 
8) Eine Verwechslung symmetrischer Zeichen kam bei der 
Brailleschrift nur in den seltensten Fällen vor. 
B. Das Tasten mit Lippe und Zunge. 
Wenn wir in den vorhergehenden Abschnitten die Fingerspitzen 
als die Stellen des deutlichsten Tastens bezeichneten, so trifft dies 
wohl für das manuelle Tasten, nicht aber für die gesammte peri¬ 
phere Sensibilität zu. Unter allen Hautstellen weist die Zungen¬ 
spitze das feinste extensive Unterscheidungsvermögen auf; diese ver¬ 
mag noch zwei Eindrücke als getrennt wahrzunehmen, welche der 
Fingerspitze in einen einzigen Eindruck zusammenfließen1). Die 
Lippen nehmen in Bezug auf ihren Raumsinn erst die dritte Stelle 
ein. Aber sie erscheinen dadurch vor den erwähnten Haut¬ 
partien bevorzugt, dass hier namentlich bei Berührung des gewölb¬ 
ten Randes eine geringe Intensität genügt, um deutliche Unterschei¬ 
dungen zu ermöglichen. Lippen und Zunge bilden ein physiolo¬ 
gisch zusammengehöriges Tastorgan, was daraus hervorzugehen 
1) Einen Hinweis auf die feine Sensibilität der Zungenspitze enthält die 
Thatsache, dass es selbst bei Verwendung zehnprocentiger Cocäfnlösungen nicht 
gelungen ist, diese Hautstelle vollkommen zu anästhesiren. Kiesow, Ueber die 
Wirkung des Cocain und der Gymnemasäure. Philos. Studien, IX, S. 515. 
Wandt, Philos. Studien. XI. 31
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.