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Theodor Heller. Studien zur Bünden-Psychologie.
botanischen Unterricht an Blindenschulen, der dringend einer Reform
bedarf, wenn er nicht zum bloßen Wortunterricht werden soll1).
Da bei den botanischen Untersuchungen die Tastanalyse in der
Regel von schwachen Geschmacksempfindungen begleitet ist, so sah
ich mich zu einer kleinen Untersuchung veranlasst, um festzustellen,
welchen Einfluss die verschiedenen Geschmacksstoffe auf die exten¬
sive Unterschiedsempfindlichkeit gewinnen2). Zunächst bepinselte
ich die Zungenspitze mit einer Saccharinlösung und fand, dass
die Unterscheidung zweier punktförmiger Eindrücke hierdurch in
keiner Weise beeinträchtigt wird. Bei Einwirkung einer 3 und
Saccharinlösung zeigte sich dasselbe Verhalten3). Nach Bepinselung
mit einer 3 % Salzlösung wurden die Punkte zwar noch als getrennt
wahrgenommen, aber die Eindrücke schienen an Intensität abzu¬
nehmen. Eine 2 % Chininlösung genügte jedoch schon, um die
beiden Eindrücke, welche, der Raumschwelle entsprechend, vorher
noch deutlich als getrennt aufgefasst wurden, in einen Eindruck zu¬
sammenfließen zu lassen. Ob diese Ergebnisse auf die Mitwirkung
secundärer Tastempfindungen bei der Einwirkung der Geschmacks¬
stoffe oder auf eine Ablenkung der Aufmerksamkeit durch die
unlustbetonten Geschmacksempfindungen hin weisen, kann diese
einfache Untersuchung nicht entscheiden4).
1) In der Wiener Blindenanstalt Hohe Warte wird beim botanischen Unterricht
seit Kurzem mit Erfolg ein vergleichendes Tasten zwischen Modell und Original
vorgenommen.
2) Die hierbei verwendeten Lösungen verdanke ich der Güte des Herrn
Dr. Friedrich Kiesow.
3) Hier dürfte es von Bedeutung sein, dass die Zungenspitze, die Stelle der
schärfsten Tastunterscheidung, bei Manchen fast nur für Süßes erregbar ist.
Külpe, Grundriss der Psychologie, Leipzig, 1893, S. 102.
4) Doch wird man sich nach Kie sow’s Untersuchungen Philosophische
Studien, Bd. X, S. 329 ff.) wohl für das Erstere entscheiden müssen.
'Schluss folgt.)