Studien zur Blinden-Psyehoiogie.
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Hohlkugel ergäben. Bewegt man die beiden Arme gleichzeitig von
ihrer äußersten Ablenkung gegen die Medianebene des Körpers, so
schneiden sich in derselben ihre Bahnen, und der beidarmige Tast¬
raum stellt sich als eine Verbindung von zwei Hohlkugelausschnitten
dar, die in der Mittelebene des Körpers Zusammentreffen und nach
rückwärts durch die Körperebene abgeschlossen erscheinen. Inner¬
halb dieses Tastraumes ist durch wechselnde Beugung und Streckung
der Extremitäten eine Abmessung nach allen Richtungen möglich.
Aus Gründen, die wir alsbald erörtern wollen, wird es sich empfehlen,
den beidarmigen als weiteren von dem engeren Tastraum zu unter¬
scheiden, der durch die Möglichkeit gekennzeichnet ist, Objecte sowohl
mit Hülfe des analysirenden als auch des synthetischen Tastens auf¬
zufassen. Der engere Tastraum ist, wie leicht ersichtlich, keineswegs
in Bezug auf den weiteren Tastraum unveränderlich bestimmt, doch
kommt wegen der Symmetrie der Tastbewegungen vornehmlich jene
Lage desselben in Rücksicht, welche der Medianebene des Körpers
entspricht. Wir werden späterhin sehen, dass bei der Auswahl jener
Anpassungserscheinungen, welche durch den Ausfall des wichtigsten
Raumsinnes beim Blinden bedingt sind, das Gesetz der Kraftersparung
vorzugsweise maßgebend wird. Wegen der Kleinheit und Beweg¬
lichkeit der im engeren Tastraum zur Auffassung gelangenden Objecte
kann der Blinde Streckungen der Arme vermeiden, welche einen
größeren Aufwand von Muskelenergie zur Compensation der Schwere
erforderlich machen. Deshalb sucht der Blinde bei der Anwendung
der unter den günstigsten Bedingungen erfolgenden Tastart seine
Anne wo immer möglich zu unterstützen. Diese Unterstützung
geschieht bei vollkommen freier Lage des Körpers in der Weise,
dass der Blinde seine Oberarme an die Seiten des Rumpfes anlegt,
wodurch nun allerdings aus praktischen Gründen eine bestimmte
Lage des engeren Tastraumes gegeben ist.
Die Betrachtung des analysirenden Tastens wird nothwendig
von den Bewegungen im engeren Tastraum ausgehen müssen, denn
nur hier sind unmittelbar alle Bedingungen für das Zustandekommen
einer präcisen Raumvorstellung gegeben, indem sich durch Benutzung
des Raumsinnes der Handflächen auch ein Gesammtbild der betasteten
Objecte gewinnen lässt. In der That liegen innerhalb des engeren
Tastraumes die Verhältnisse für die Beziehung zwischen synthetischem