Studien zur Blinden-Psychologie.
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der Stube und nun kletterte Karl H. hinauf, bis er die Decke
erreichte. Beim Treppensteigen fiel ihm nun dieses Erklettern der
Leiter ein, und er machte hierbei die Beobachtung, dass die Sprossen
der letzteren ungefähr doppelt so weit von einander entfernt waren
als die Stufen der Treppe. Auf diese Weise gelangte er dazu, die
Höhe des Zimmers mit der einer Stiege in Beziehung zu setzen.
Da der Blinde nun fernerhin erkannte, dass die Höhe eines Stiegen¬
absatzes der Zimmerhöhe ungefähr entsprechen müsse, so hatte er
hierdurch ein Maß für die letztere gewonnen. Die Zahl der Stufen,
welche von einem Stockwerk zum andern führen, hat der genannte
Blinde für alle ihm bekannten Häuser im Gedächtniss. Wenn ihm
die Anzahl der Stockwerke bekannt ist, so kann er sich durch
Rechnung auch eine beiläufige Vorstellung von der Höhe der Häuser
bilden. Doch ist ihm diese Höhenbestimmung nicht allzu wichtig.
Er begnügt sich, wenn er die Größe eines Raumes messen will, in
der Regel mit der Bestimmung von Länge und Breite.
Nebst der Dauer der Bewegung, welche gemessen wird durch
die zur Zurücklegung einer Strecke erforderliche Schrittzahl, kom¬
men bei diesen Bestimmungen noch in Betracht die charakteristischen
Tastempfindungen der Füße, welche sich von Fall zu Fall ändern
und eine qualitative Färbung der sonst bloß intensiv abgestuften
Empfindungen bedingen. Dieselben werden daher auch zu unter¬
scheidenden Merkmalen der verschiedenen Bewegungen des Blinden.
Durchmisst der Blinde eine gedielte Stube, so sind die äußeren
Tastempfindungen andere als bei der Bewegung auf einem Kies¬
weg oder einer gepflasterten Straße. Damit verbinden sich auch
charakteristische Gehörsempfindungen, und alle diese Componenten
gehen in die Vorstellung des zurückgelegten Weges ein. Aber in
den meisten Fällen treten auch hier jene eigenthiimlichen Surrogat¬
vorstellungen in Kraft, welche ein Zeugniss für die Unfähigkeit
des Blinden ablegen, sich von den betreffenden räumlichen Verhält¬
nissen entsprechende Vorstellungen zu bilden. Die Betrachtung der
hierher gehörigen Surrogatvorstellungen würde uns an dieser Stelle
zu weit führen; wir wollen dieselben im Anschluss an die schon
im weiteren Tastraum vielfach zur Ausbildung gelangenden Vor¬
stellungshülfen später in einem besonderen Abschnitte behandeln.