430
Theodor Heller.
Wir verlassen hiermit das eigentliche Gebiet des analysirenden
Tastens und wenden uns jenen Tastmessungen zu, bei welchen
Bewegungen des Gesammtkörpers nothwendig werden und speciell
die Schrittbewegung zur Maßbestimmung Verwendung findet. Die
Gebrüder Weber haben bereits nachgewiesen, dass die Schritt¬
bewegung eine Pendelbewegung darstellt, und wie wir für gewöhn¬
lich die letztere zur Zeitmessung benutzen, so bietet auch die erstere
Verhältnisse dar, welche die Ausbildung präciser Zeitvorstellungen
vor allem begünstigen. Zunächst kommt hier der regelmäßige
Wechsel von Erwartungsspannung und -erfüllung in Betracht, ferner
die Rhythmik der Bewegungsempfindungen und der durch das
Aufsetzen der Füße veranlassten Gehörseindrücke. Aehnlich wie
die Raumvorstellung resultirt auch die Zeitvorstellung aus einer
associativen Verschmelzung der obenerwähnten Componenten. Diese
muss aber zum Unterschiede von der erstgenannten als eine intensive
bezeichnet werden, da die einzelnen Factoren bloß eine intensive,
nicht aber eine qualitative Abstufung erkennen lassen, welch’ letztere
zu einer räumlichen Ordnung der Eindrücke Veranlassung geben
könnte. Der Blinde bestimmt Länge und Breite eines Raumes nach
der zur Durchmessung desselben erforderlichen Schrittzahl. Da der
Blinde die Länge seiner Schritte genau kennt, so ist er jeder Zeit
im Stande, die auf diese Weise abgemessenen Dimensionen in den
üblichen Maßeinheiten auszudrücken. Es macht dem Blinden nach
einiger Uebung auch durchaus keine Schwierigkeiten, Pläne in ent¬
sprechend verjüngtem Maßstabe herzustellen, welche bei einer nach¬
folgenden genauen Messung sich als vollkommen richtig erweisen.
Wenn also auch ursprünglich das Hervortreten des Bewegungsfactors
die Ausbildung der Zeitvorstellung begünstigt, so ist der Blinde
dennoch durch eine Reihe intellectueller Operationen befähigt gleich¬
sam Zeit- in Raumverhältnisse umzusetzen.
Wie wir schon zu Beginn dieses Abschnittes erwähnt haben,
ist eine unmittelbare Bestimmung der Höhe durch die Schrittmessung
für gewöhnlich nicht zu erreichen. Auf Umwegen verhelfen sich
in diesem Falle einige Blinde zu einer Bestimmung der dritten
Dimension. Sehr interessant sind hier die Mittheilungen des Blinden
Karl H. Dieser konnte sich zunächst von der Höhe eines Zimmers
keine bestimmte Vorstellung machen. Einmal stand eine Leiter in