Volltext: Studien zur Blinden-Psychologie, Fortsetzung (11)

Studien zur Blinden-Psychologie. 
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verhelfen. Alle Modelle, welche die Blinden unter Zugrundelegung 
eines selbstgewählten Verkleinerungsmaßes größeren Objecten nach¬ 
gebildet haben, zeigen sich dem engeren Tastraum entsprechend. 
Aus eineT großen Anzahl von genauen Selbstbeobachtungen meiner 
besten Versuchspersonen Anna P. und Oscar Sch. geht zweifelsohne 
hervor, dass bei Blinden eine unmittelbare Simultanvorstellung der 
Form der Objecte auf enge Grenzen beschränkt bleiben muss. Will 
der Blinde sich ein Object im weiteren Tastraume in wahrer Größe 
vorstellen, so reducirt sich seine Vorstellung auf die Succession der 
Tastbewegungen, welche bei der Abmessung desselben erforderlich 
waren. Lenkt er seine Aufmerksamkeit auf die Verhältnisse der 
Form, so muss er eine Verkleinerung des Objectes in der oben 
bezeichnten Weise vornehmen; eine unmittelbare Simultanvorstellung 
ist immer nur im engeren Tastraum möglich. 
Auf den ersten Blick scheint diese eigenthümliche Tastraum- 
zusammenziehung zum Zweck der Entwicklung simultaner Vor¬ 
stellungen sehr befremdlich. Aber es ist nicht schwer zu zeigen, 
dass ähnliche Verhältnisse auch bei den Vorstellungen des Licht¬ 
sinnes obwalten. Man hat bisweilen die Vorstellungen des Tast- 
und Gesichtssinnes derart unterschieden, dass man angab, die ersteren 
seien unter allen Umständen Successiv-, die letzteren Simultanvor¬ 
stellungen. Dass dies in Bezug auf den Tastsinn nicht zutrifft, dürfte 
sich aus den bisherigen Ausführungen zur Genüge ergeben haben. 
Ebenso wenig behält jene Behauptung in Betreff der Vorstellungen 
des Lichtsinnes Recht. Vergeblich werden wir uns bemühen, das 
Gesammtbild eines großen Gegenstandes in unmittelbarster Nähe zu 
gewinnen. Stellen wir uns z. B. einen großen Baum unmittelbar vor 
unserem Beobachtungsstandpunkt vor, so sehen wir uns gezwungen, 
das Bild des Objectes gleichsam aus seinen Theilen zusammen¬ 
zusetzen. Wollen wir uns eine Simultanvorstellung des Gegenstandes 
ermöglichen, so müssen wir in der Phantasie das Object in eine 
größere Entfernung rücken, woraus sich nothwendig ergibt, dass 
wir das Simultanbild wesentlich verkleinert erhalten. Ebenso stellen 
wir uns ein Haus, einen Berg etc. für gewöhnlich ungefähr in der 
Größe eines Photogramms vor, die Vorstellung der Entfernung des 
Beobachters von dem Object ermöglicht aber einen Schluss auf die 
wahren GrößenveThältnisse des letzteren.
	        
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