Volltext: Studien zur Blinden-Psychologie, Fortsetzung (11)

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Theodor Heiler. 
Relativität der Beurtheilung noch wesentlich dadurch erhöht wird, 
dass sich die Tastfinger gegen einander sehr rasch verschieben. Die 
Unterschiedsempfindlichkeit nimmt nach oben hin merklich ab, was 
sich aus der Mitwirkung zunehmender Spannungsempfindungen 
erklären dürfte. Für mittlere Strecken von 35—80 mm besteht eine 
Constanz der absoluten Unterschiedsempfindlichkeit, indem eine Zu¬ 
oder Abnahme der Distanzen um 1 mm noch eben merklich als 
größer oder kleiner erscheint. 
Die eben beschriebene Art des analysirenden Tastens, die wir 
als Convergenztasten bezeichnen möchten, geht nun häufig in das 
synthetische Tasten über, indem der Gegenstand einfach so lange 
nach rückwärts geschoben wird, bis er die Handfläche berührt. An 
dem Tastgeschäfte betheiligen sich beide Hände gleichzeitig; die 
eine Hand übernimmt die Fixirung des Objectes, während die andere 
Hand die Tastanalyse vollzieht. Hierbei zeigt sich bei den auf der 
gleichen Höhe der Tastentwicklung angelangten Blinden das Be¬ 
streben, bei den Tastbewegungen die Horizontalebene beizubehalten, 
wodurch die andere Hand die Function empfängt, die günstige Lage 
für die Tastanalyse durch fortwährende Drehung des Objectes her¬ 
zustellen. Im Verlaufe des Tastaktes ist zu beobachten, dass beide 
Hände in ihren Aufgaben wechseln, dass ferner von Zeit zu Zeit 
eine Umschließung und Andrückung des Objectes erfolgt. Die Tast¬ 
synthese leitet auch in der Regel den Tastakt ein. Den Hintergrund 
des Complexes innerer Tastempfindungen, den die Tastanalyse hervor¬ 
bringt, bildet demnach das schematische Gesammtbild des Gegen¬ 
standes, auf welches alle Tastbewegungen bezogen werden. 
Ließe der Blinde jedem Objecte, das ihm zur Betastung vor¬ 
gelegt wird, eine allseitige eingehende Betrachtung zu Theil werden, 
so wäre nicht bloß ein großer Aufwand von Zeit, sondern auch von 
Mühe erforderlich. Das Tasten des Blinden befolgt aber das Gesetz 
der möglichsten Kraftersparung. Eine Aeußerung desselben fanden 
wir schon in der zweckmäßigen Auswahl der Tastbewegungen1), 
ferner in der Unterstützung der Arme bei der Betastung kleiner 
beweglicher Objecte2). Das synthetische Tasten ermöglicht nun, 
wie wir an früherer Stelle dargelegt haben3), ein Urtheil über die 
1) S. 234. 
2) S. 408 f. 
3) S. 252.
	        
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