Studien zur Blinden-Psychologie.
Von
Theodor Heller.
(Fortsetzung.)
Mit 3 Figuren im Text.
2. Das analysirende Tasten.
^\ir haben schon früher erwähnt, dass den beweglichsten Theilen
des Körpers auch das schärfste extensive Unterscheidungsvermögen
zukommt. Vierordt suchte dieser Thatsache in dem Gesetze einen
bestimmten Ausdruck zu geben, dass die Feinheit der Ortsunter¬
scheidung proportional sei dem Abstand eines Hautbezirkes von der
Drehungsaxe, um welche der betreffende Körpertheil bewegt wird1).
Diese einfache Beziehung hat sich späterhin nicht bestätigt gefunden.
Klinkenberg setzt an die Stelle des Yierordt’schen Gesetzes die
allgemeine Regel, dass man den Raumsinn als proportional dem
Maße derUebung betrachten könne2). Bewegung undüebung stehen
aber in einer sehr nahen Beziehung. Die beweglichsten Hautpartien
sind für die Zwecke des räumlichen Tastens am günstigsten gelegen,
von ihnen wird deshalb der häufigste Gebrauch gemacht, und hier
müssen sich demnach die Einflüsse der Uebung am deutlichsten
äußern. Die Annahme liegt nicht ferne, dass sich der Reichthum
an Nerven und besonderen Tastapparaten, welche der feineren Orts¬
unterscheidung zu Grunde liegen, in Anpassung an die Tastbedürfnisse
1) Vierordt, Grundriss der Physiologie, 5. Aufl., S. 342.
2) Klinkenberg, Der Raumsinn der Haut und seine Modification durch
äußere Reize. Diss. Bonn 1883, S. 20.