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Armand Thiéry.
wurde experimentell von Hering bestätigt, indem er die auf der
Rückseite einer nicht polirten Glasplatte gezeichnete Figur mono¬
cular betrachtete. »So sehe ich«, schreibt er, »in überraschender
Weise ein körperhaftes Bild: der dicke Strich (er hatte die Fläche
zwischen den Parallelen mit Tinte ausgefüllt, so dass ein rechteckiger
dicker Strich entstand) liegt in der Glasebene, das obere Ende des
Querstrichs dahinter und das untere davor, oder beide vorn oder
beide hinten, was hier alles gleichwerthig ist und theils von Neben¬
umständen, theils von meiner Willkür abhängt').«
Dasselbe kann man an zwei etwas breiten Stäbchen, z. B. zwei
Bleistiften, beobachten. Da die zwei vertical liegenden Parallelen
in der Ebene der Zeichnung liegen, so wird von uns dieser Theil
unmittelbar nach dem Gesichtswinkel geschätzt, während die Theile,
die außerhalb dieser zwei Linien liegen, außerdem nach ihrer vor¬
gestellten Entfernung geschätzt werden. Daher kommt es, dass die
Richtung einer solchen Querlinie, deren mittlerer Theil nicht ge¬
zeichnet wird, an den beiden gezeichneten Theilen eine solche
Richtungsveränderung zu erfahren scheint, dass diese beiden Theile
um die Punkte, in denen sie die Ebene erreichen, eine Drehung
in dem Sinne einer Vergrößerung des spitzen Winkels erfahren.
Dass die scheinbare Drehung des oberen und des unteren Theiles um
diese zwei Punkte sich vollzieht, hat zur Folge, dass die Täuschung
proportional sein muss der Distanz, welche zwischen den zwei par¬
allelen Linien liegt.
Neigung der Figur in der Zeichnungsebene. Solche durch
die Gewöhnung eingewurzelte Associationen machen sich auch noch
in anderer Beziehung bei der Erscheinung geltend. So beruht es
auf einer bekannten Association von Bildern, welche bewirkt, dass
die Parallelen, welche die Transversalen unterbrechen, mit dem
Eindrücke verknüpft werden, als bildeten sie eine Figur, die vor
einer andern gelegen ist und einen Theil davon unsichtbar macht.
Sully citirt nach Helmholtz1 2) mehrere derartige Beispiele. Eine
andere Association ist die, welche bewirkt, dass schräge Linien den
1) Hering, Von der einäugigen Stereoskopie. Beiträge 1861. S. 71. Diese
verschiedenen Auffassungen hängen von Augenbewegungen ab. Wir werden sehen,
dass die erste Auffassung den meisten Fällen entspricht.
2) Sully op. cit. pag. 58 Fig. 4 und 2.