Untersuchungen über die Grundlagen der Mathematik.
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keiten constatiren und darin einen glücklichen Zufall bezüglich des
Zahlbegriffs erblicken. Denn so lange die Aufmerksamkeit den
Objecten allein zugewendet ist, würde man nicht darauf achten,
dass dieselben an und für sich in gar keiner Abhängigkeit stehen
und dass sie bloß die empirischen Bedingungen für eine Bethätigung
des Denkens darstellen, während es das Denken ist, das seiner Natur
gemäß vom Grunde zur Folge fortschreitend jene Abhängigkeiten
erst schafft. — In beiden Fällen würde man nur in soweit eine
Begründung des Zahlbegriffs gewinnen, als das Getriebe des *
Denkens einerseits wohl definirte Mengen gleichwerthiger Objecte,
andererseits Abhängigkeiten von Denkobjecten, die den mathe¬
matischen Operationen als Grundlage dienen können, zu Tage •
fördert.
Dies hätte zur Folge, dass eine KJjjft, entstehen würde zwischen
der Zahl, insoweit sie als ein mathematisches Begriffsgebilde bloß
formal existirt, und der Zahl, insofern sie in dem realen Leben des
Denkens eine reale Gestalt gewinnt. Diese Kluft könnte sich ver¬
engern in dem Maße, als die Erfahrung mehr und mehr Gelegenheit
gibt, die leeren mathematischen Schemata mit einem Inhalt zu füllen.
So lange jedoch die Kluft besteht, könnte man versucht sein, die
Erfüllbarkeit der formalen Schemata mit einem realen Inhalt als
ein Postulat des Denkens hinzustellen, so dass die Möglichkeit ihrer
völligen Beseitigung außer Zweifel stünde. Die Aufstellung eines
Postulats enthielte aber schon das Zugeständniss, dass die Erfahrung
allein zur Begründung des Zahlbegriffs nicht ausreiche, und dass
die Natur des Denkens in Rechnung gezogen werden müsse; denn
nur auf diese Weise kann ein Postulat als berechtigt erwiesen
werden. Es wäre daher consequenter, wenn man jene Kluft ein¬
fach ignoriren und, unbekümmert um die mathematischen Begriffs¬
gebilde, die Zahl nur insoweit anerkennen würde, als sie eine
thatsächliche reale Grundlage besitzt und ihre Operationsgesetze
erfahrungsgemäß bestätigt werden. Dann müsste z. B. selbst für
die sogenannten positiven ganzen Zahlen, die der elementaren
Arithmetik zu Grunde liegen, ein Bereich abgegrenzt werden, a
innerhalb dessen sowohl die Existenz der Zahlen als auch die
Richtigkeit ihrer Operationsgesetze thatsächlich durch die Erfah¬
rung verbürgt wären, und "es bliebe dahingestellt, ob außerhalb