Volltext: Untersuchungen über die Grundlagen der Mathematik, Fortsetzung zu Band X, S. 202 (11)

272 
Gotti. Friedr. Lipps. 
Verfügung steht. So ist z. B. schon die Möglichkeit der Zusammen¬ 
setzung von Lauten zu Wörtern und die Herstellung von Schrift¬ 
zeichen eine unbegrenzte. 
Wenn somit die Ausgestaltbarkeit der Normalreihe nicht be¬ 
zweifelt werden kann, so scheint dagegen das Festhalten derselben 
schlechterdings unmöglich zu sein. Denn man kann die Reihe 
doch nur gedächtnissmäßig festhalten, da der Zusammenhang zwischen 
der Beschaffenheit der Reihenglieder und der durch dieselben mar- 
kirten Stellen in der Reihe nicht durch das Denken begründet, 
sondern an und für sich willkürlich ist. Das Gedächtniss kann 
aber die Reihe nur, soweit sie thatsächlich Glied für Glied erzeugt 
ist, festhalten und ist dabei überdies Schranken unterworfen, die es 
hindern, mit der Erzeugung der Reihe Schritt zu halten. Man ist 
daher nicht einmal im Stande, die Folge der Reihenglieder, soweit 
sie als thatsächlich im Bewusstsein vorliegend gedacht werden 
kann, zu fixiren; noch weniger vermag man dies bezüglich der 
unbegrenzten Reihe, da dies die doppelte Unmöglichkeit bedingen 
würde: einmal die Fortsetzung der Reihe ins Unbegrenzte als eine 
vollendete Thatsache anzunehmen, sodann die endlose Folge der 
Reihenglieder im Gedächtniss aufzubewahren. 
Es ist folglich unmöglich, die Normalreihe dadurch herzustellen, 
dass jedem Gliede willkürlich ein irgendwie bestimmter individueller 
Bewusstseinsinhalt zugeordnet und diese Zuordnung durch das Ge¬ 
dächtniss fixirt wird. Vielmehr muss betont werden, dass auf diese 
Weise nur ein Anfang der Normalreihe gewonnen wird, der zwar 
je nach der vorhandenen Stärke des Gedächtnisses mehr oder minder 
weit sich erstrecken kann, der aber jedenfalls mit irgend einem Gliede 
abbrechen muss. 
Daraus folgt jedoch nicht, dass die Herstellung der Normalreihe 
überhaupt unmöglich ist. Es zeigt sich nur, dass dieselbe ein noch 
ungelöstes Problem darstellt, zu dessen Lösung ein Mittel 
gefunden werden muss, um die durch die Natur des Ge¬ 
dächtnisses gezogenen Schranken zu überwinden. 
§ 8. 
Zu diesem Zweck muss eine gedächtnissmäßig fixirte Folge 
von Bewusstseinsinhalten zu Grunde gelegt werden. Denn es können
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.