Studien zur Biinden-Psychologie.
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erfolgt auch hier eine Bewegung des Gegenstandes, welche die ein¬
zelnen Theile des letzteren successive mit der Stelle des deutlichsten
Tastens in Berührung bringt. Der Gegenstand wird in den Händen
gedreht, wozu eine stellenweise Lösung des Handschlusses erforder¬
lich ist. Diese Bewegungen sind nicht continuirlich, sondern sie
werden häufig unterbrochen, und es erfolgt ein stärkeres Andrücken
des Gegenstandes. Dabei entspringt es sicherlich nicht bloß aus
mechanischen Bedingungen, dass die Kanten der Objecte möglichst
mit jenen Hautstellen Zusammentreffen, die den Gelenken ent¬
sprechen. Diesen kommt ein etwas feinerer Raumsinn und eine
geringere Normalintensität zu als den umgebenden Hautpartien.
Um diese Berührung zu ermöglichen, werden selbst corrigirende
Handbewegungen unternommen.
Die Vorstellungsbildung bei dieser Tastart erfolgt nicht unter
so einfachen Bedingungen, wie in den früher erwähnten Fällen.
Hier sind nicht bloß äußere, sondern auch innere Tastempfindungen
maßgebend, die sich aus den Componenten der Kraft- und Be¬
wegungsempfindungen zusammensetzen. Um das Umschließen des
Objectes zu ermöglichen, muss die Hand ihre Ruhelage verlassen,
alle Gelenke vollziehen eine Adduction, welche ihr Ziel erreicht hat
bei möglichst allseitiger Berührung des Objectes. In diesem Stadium
sind die Bewegungsempfindungen von vornehmlicher Bedeutung.
Hat die Hand die entsprechende Stellung erreicht, so erfolgt die
Perception derselben durch den Complex von Empfindungen, welche
Wundt als Lageempfindungen bezeichnet1). Nunmehr wird auch
der Raumsinn der Haut in Anspruch genommen. Hierzu ist ein
stärkeres Andrücken der Handfläche an das zur Auffassung ge¬
langende Object nothwendig, die Muskeln und Sehnen werden ge¬
spannt und so entstehen intensive Kraftempfindungen, welche zu
den Lageempfindungen in innige Beziehung treten. Auf einer Ver¬
wechslung der Kraft- und Bewegungsempfindungen beruht eine
eigenthümliche Täuschung bezüglich der Größe der betasteten
Objecte, welche bei Ausschluss der optischen Contrôle auch an
Sehenden zu beobachten ist. Man gebe der Versuchsperson zuerst
einen Holz-, dann einen gleichgroßen Papierwürfel (aus Carton) in
1) Wundt, Physiol. Psychologie I (4. Aufl.) S. 420.