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Margaret Floy Washburn.
hervorgerufen wird1). An Interesse gewinnt diese Thatsache durch
ihre Beziehung zu Goldscheider’s Beobachtungen. Er bemerkt
bei einer Besprechung seiner Druckpunkte: »Da die Druck- und
Ortsempfindungen der Druckpunkte objectivirt werden, so werden
wir alle diejenigen Punkte des Objects, welche unsere Druckpunkte
berühren, auch eben objectiv wahrnehmen, die übrigen wieder nicht,
und die nothwendige Folge muss sein, dass wir die Co'ntactfläche
des Objects nicht mit ihrer wahren Gestalt und Beschaffenheit
wahrnehmen, sondern so, wie sie sich auf unseren Druckpunkten
abdrückt.« Um diese Annahme zu unterstützen, beschreibt Gold¬
scheider des weiteren Versuche, die mit der abgerundeten Kante
eines Federkiels ausgeführt wurden2).
Dieser halbkreisförmige Eindruck wurde entsprechend der An¬
zahl und der relativen Lage der gereizten Druckpunkte empfunden
»als im umgekehrten Sinne gekrümmt oder S-förmig gekrümmt,
oder rechtwinklig geknickt, oder in der Mitte abgeschnitten, oder
in zwei getrennte geradlinige Abschnitte getheilt« u. s. w.3) Wenn
diese Resultate bei allen linearen Reizen eine so vollständige Un¬
sicherheit in der Beurtheilung der Richtung der betreffenden Ein¬
drücke aufweisen, so muss es gewiss auffallend erscheinen, wenn
bei unseren Versuchen die Richtung ungleich besser bei linearen
als bei punktuellen Eindrücken erkannt wurde. Wenn überdies
meine Beobachter ihre Aufmerksamkeit insonderheit auf die Form
der als Reiz dienenden Linie richteten, so wurde nach ihren Aus¬
sagen nur eine gerade Kante empfunden. Bei einer sehr kurzen
Linie war der Eindruck oft verwischt. Diese Wirkung muss zweifel¬
los der Irradiation zugeschrieben werden, der Eindruck erschien
jedoch niemals »gekrümmt« oder »in zwei getrennte geradlinige
Abschnitte getheilt«.
1) Ladd (Phys. Psych. S. 406) bemerkt zu den Web er’sehen Versuchen
»Our estimate of the length of lines of pressure, marked out by laying rods
upon the skin, follows the same principle«, d. h. dass die Größenauffassung einer
Distanz im umgekehrten Verhältnisse zum Schwellenwerthe derselben steht. Ich
kann weder bei Weber noch in den Untersuchungen anderer Autoren irgend
eine Bezugnahme auf diesen Punkt finden.
2) Archiv für Physiologie, 1885, S. 98 u. 99.
3) Ebenda S. 99.