Weitere Bemerkungen über psychische Messung.
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ist mir schwer verständlich. Selbst das Versuchs verfahren ist ein ver-
hältnissmäßig einfaches und wird nur dadurch etwas langwierig, dass
die natürlichen Schwankungen der psychischen Vorgänge größere Be¬
obachtungsreihen erforderlich machen, wenn man für die Zeit jedes
Vorgangs einigermaßen zuverlässige Mittelwerthe gewinnen will. Aber
dies ist ein Schicksal, das die experimentelle Psychologie mit allen den
Gebieten naturwissenschaftlicher Beobachtung theilt, in denen die
Complication der Erscheinungen oder die Schwierigkeit der Unter¬
suchung eine Häufung von Beobachtungen erfordert. Auch der Um¬
stand, dass die einfache Reactionszeit gewisse physische Vorgänge in
sich schließt, kann hier nicht geltend gemacht werden, denn diese
Reactionszeit wird ja gewissermaßen nur als Beobachtungsmittel be¬
nützt und dann vollständig eliminirt. Man könnte daher ebenso gut
den Astronomen vorwerfen, sie seien nicht im Stande, die Zeit des
Meridiandurchgangs eines Sternes wirklich zu messen, weil darin
jedesmal gewisse subjective Vorgänge, die so genannte »physiologische
Zeit«, eingeschlossen sind, welche man nachträglich durch Combination
der Beobachtungen oder eventuell auch durch directe Bestimmung
eliminiren muss.
Auch den Einwand, welchen Zeller auf die Erscheinungen der
von mir so genannten »negativen Zeitverschiebung« gründet, kann ich
nicht als berechtigt anerkennen. Die Existenz einer solchen Umkeh¬
rung des wirklichen Zeitverlaufs von Ereignissen, meint Zeller, »be¬
weist doch zur Genüge, dass die Vorgänge, um die es sich hier han¬
delt, viel zu verwickelt sind, um die einfache Anwendung der psycho¬
physischen Messungen auf die psychischen Thätigkeiten zu erlauben«.
Nun habe ich die Bedingungen, unter denen solche Zeitverschie¬
bungen eintreten, ausführlich erörtert. Es geht daraus hervor, dass sie
bei den zur Bestimmung der oben genannten psychischen Zeiten ge¬
wählten Methoden gar nicht eintreten können; ja ich habe aus¬
drücklich darauf aufmerksam gemacht, dass gewisse Versuchsanord¬
nungen vermieden werden müssen, weil bei ihnen der Einfluss einer
Zeitverschiebung nicht ganz ausgeschlossen ist.1) Hiernach hat man
doch, meine ich, ebenso wenig ein Recht, die Existenz dieser Zeitver¬
schiebungen gegen Beobachtungen geltend zu machen, bei denen sie
1) Physiol. Psychologie II, S. 253.