Johannes Biehle, Theorie der pneumatischen Orgeltraktur usw.
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XIII. Bestimmung der Zeitscliwelle.
Die Erklärung des Begriffes »Verzögerung« war aber mit der Fest¬
stellung, daß bei der Natur des Tastenspieles eine Verzögerung erst als
solche in Betracht kommt, wenn sie mehr als 22 o beträgt, nicht aus¬
reichend gegeben.
Es war noch ein rein physiologisches Moment in Rechnung zu ziehen,
nämlich, daß das menschliche Ohr rasch aufeinanderfolgende Töne unter¬
halb einer zu bestimmenden Zeitschwelle nicht mehr getrennt wahrnehmen
kann.
Ebenso wie ein Blitz auf der Netzhaut Eindrücke hinterläßt, die
weit über die Blitzdauer anhalten, oder wie die Nachwirkungen auf der
Netzhaut einen in rascher Bewegung befindlichen Lichtpunkt als Linie
erscheinen lassen, so liegt ein physiologisches Hindernis im Ohre vor,
daß uns eine sehr schnelle Tonfolge als solche nicht erkennen läßt.
Jeder Musiker weiß, daß er in der Tiefe langsamer trillern muß als er
in der Höhe darf. Jeder Ton braucht zum An- und Abklingen und zu
seiner Beurteilung Zeit, die mit der Tiefe wächst. Diese Erscheinungen
des An- und Abklingens sind vom Standpunkte des Psychologen und
Physiologen untersucht und dabei ist nachgewiesen worden, daß das Ohr
dem Auge weit überlegen und die Dauer der Nachwirkung seiner Reize
viel kürzer ist. So hat Alfred Meyer die Nachklangzeiten festgestellt:
C
J 1
'ff
39,5 a
22,2 »
14,2 »
7,6 »
o,5 ».
In unserem Falle handelt es sich um eine andere Erscheinung, näm¬
lich um die der getrennten Wahrnehmbarkeit zweier Gehörreize von zeit¬
lich sehr geringer Distanz. Denn das ist ohne weiteres klar, bei sehr
kleinen Reizpausen empfinden wir in Wahrheit keine Aufeinanderfolge,
sondern nur einen Ton. Über diese Grenze, die wir als Zeitschwelle
bezeichnen, hat z. B. Mach in der Wiener Akademie 1865 berichtet und
einen Wert von 16 a gefunden. Der Anlaß zu seinen Untersuchungen
war die Wahrnehmung, daß der Zeitsinn des Ohres wissenschaftlich
noch wenig bearbeitet worden sei und der Wunsch, die Gültigkeit des
Feckner-Weberschen Gesetzes auch für die Wahrnehmung der Zeit fest¬
zustellen. Er benützte in der Hauptsache die Geräusche, die durch die
veränderte Geschwindigkeit von Zahnrädern hervorgerufen wurden. Seine
Aufgabe deckt sich aber nicht ganz mit der hier vorliegenden. Es ist
auch als sicher anzunehmen und schon aus der von Meyer aufgestellten
!) Siehe Stumpf, Tonpsychologie.