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Eduard Sievers.
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ein recht gutes und charakteristisches Beispiel (auch für Tonmalerei).
Vgl. dazu die Kurven am Schluß der Tabelle (jede Kurve entspricht
einer Textzeile).
Takt mäßige Gliederung ist das einzige Merkmal, welches
die Poesie eindeutig von der Prosa abhebt. Taktfüllkurven er
scheinen daher auch nur in Musik und Poesie, d. h. verifizierter
Rede. Dagegen zieht sich nun, wenn auch in verschiedener Weise,
gleich der Beckingkurve wiederum durch alle menschliche Rede
(also einerlei, ob Poesie oder Prosa) die dritte Art von Kurven
hindurch, die noch zu erörtern ist. Das sind die Kurven, in denen
die unten näher zu besprechenden «optischen Signale» zu be¬
wegen sind, mit deren Hilfe man den Sprechenden auf bestimmte
Klangarten einstellen kann. Nach diesem äußerlichen Zusammen¬
hang mit der Handhabung der Signale mögen unsere Kurven einst¬
weilen einfach als «Signalkurven» bezeichnet werden. Über sie läßt
sich aber nur im Zusammenhang mit der ganzen Qualitätsfrage
handeln, für deren Erörterung der zweite Teil unserer Betrachtungen
bestimmt ist.
II.
Es ist eine altbekannte Tatsache, daß man sehr oft z. B. ver¬
schiedene Gedichte selbst eines und desselben Autors nicht mit der
gleichen Art von Stimme sprechen kann, wenn man nicht offen¬
sichtlich gegen Sinn und Stimmung verstoßen will. So verträgt z. B.
Walter Teils Schützenliedchen
Mit dem Pfeil, dem Bogen
Durch Gebirg und Tal
Kommt der Schütz gezogen
Früh am Morgenstrahl
nur eine weich und hell klingende Stimme, im Gegensatz zu der
dunkleren und rauheren Stimme, die wir etwa brauchen für
Will sich Hektor ewig von mir wenden,
Wo Achill mit den unnahbarn Händen
Dem Patroklus schrecklich Opfer bringt f
Ebenso ist es jedem Musiker bekannt, daß man nicht alles mit
gleichem Stimmansatz singen, mit gleicher Anschlags- oder Streich¬
art usw. spielen kann. Es fragt sich nur, auf welche Weise die
erforderliche Verschiedenheit der Klanggebung zweckmäßig oder über¬
haupt hergestellt werden kann.