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ausgeübt werden. Auch da wo die Formen des Tanzes nicht gerade¬
zu obszön sind, ergiebt sich der sexuelle Charakter dieser Kunst aus
dem Umstand, dass bei vielen Naturvölkern abwechselnd die
Frauen den Männern und die Männer den Frauen vortanzen. Der
Tanz ist auf dieser Stufe durchaus kein uninteressiertes ästhetisches
Vergnügen, sondern geradezu ein sexuelles Reizmittel, dessen
Zweck also wesentlich mit die Erhaltung der Gattung ist.
Ausserdem wird der Tanz aber bei allen möglichen festlichen
Gelegenheiten, Friedensschlüssen, Auszug in den Kampf, Bünd¬
nissen, Erntefesten u. s. w. ausgeführt. Auch hier wird man eine
Verbindung der durch ihn erzeugten ästhetischen Lustgefühle mit
den an seine äussere Veranlassung anzuknüpfenden inhaltlichen
Lustgefühlen vorauszusetzen haben. Allmählich löste sich dann
aber die Verbindung mit diesen praktischen Lebensinteressen
und der Reiz der Illusion trat an die Stelle jener inhaltlichen
Reize. Der ungeheure Lustwert der rhythmischen Bewegung,
der ja nicht nur auf ihrer Bequemlichkeit beruht, würde sich
in der That leichter erklären lassen, wenn wir annehmen dürften,
dass sich in diesen rhythmischen Bewegungen gewissermassen
Jahrtausende hindurch die Lust von zahllosen Generationen unserer
Vorfahren niedergeschlagen hätte, und zwar nicht nur sexuelle
Lust, sondern solche der allerverschiedensten Art.
Die Musik, die den Tanz begleitet und wie wir schon gesehen
haben ursprünglich eine untrennbare Einheit mit ihm bildet, ist
sowohl Instrumental-, wie Vokalmusik. Dass die menschliche
Stimme das erste Instrument war, das der Mensch spielte, ist
selbstverständlich. Aber schon auf der frühesten Stufe kennt er
primitive Blas- und Saiteninstrumente. Er setzt damit nur fort,
was schon in der Tierwelt begonnen hatte, indem ja beim Tier die
Erzeugung von Geräuschen durch Reibung an Blättern und Gras¬
halmen, durch Klopfen an Baumstämmen, Schlagen an tönende
Gegenstände u. s. w. etwas ganz gewöhnliches ist. Die Verbindung
mit dem Tanze macht es verständlich, dass nicht das melische,
sondern das rhythmische Element auf dieser Stufe am meisten
hervortritt. Die Tonintervalle der primitiven Musik sind sehr be¬
schränkt und eintönig, die rhythmische Gliederung dagegen lebhaft
und streng. Als Ganzes steht die Musik der Primitiven eher
unter als über dem Gesang der Vögel und den Tönen gewisser
Affenarten wie des Gibbon.
Sonderbarerweise hat man der primitiven Musik den Zu-