Neuerdings hat man ein ganzes Buch geschrieben, um nachzu¬
weisen, dass ein Mann von so laxer Gesinnung die tief religiösen
Bilder, die auf ihn zurückgeführt werden, nicht gemalt haben könne.
Er hat sie aber doch gemalt, und wir werden nicht umhin können,
daraus einen ganz ähnlichen Schluss zu ziehen wie bei Giotto.
Selbstverständlich fällt es mir nicht ein zu behaupten, dass
dieses Auseinandergehen des religiösen und ästhetischen Gefühls
die Regel sei — es mögen sogar mehr Beispiele des Gegenteils
Vorkommen —-, aber wenn es auch nur bei ganz wenigen der
grössten Künstler nachgewiesen werden könnte, so würde das be¬
stätigen, dass Religion und Kunst wohl Zusammengehen können,
aber nicht Zusammengehen müssen. Wir würden uns dann ein
Auseinandergehen beider Gefühlssphären aus demselben Bedürfnis
der Ergänzung zu erklären haben, das wir überhaupt als treibende
Ursache aller künstlerischen Thätigkeit annehmen. Ich glaube
sogar, dass die häufige Verwechselung der religiösen und ästhe¬
tischen Gefühle daraus zu erklären ist, dass für das Seelenleben
vieler Menschen die Kunst geradezu die Bedeutung der Religion
hat, ihnen ein Ersatz für den mangelnden Glauben ist. Das würde
aber gerade das Gegenteil von dem beweisen, was es nach der
allgemeinen Auffassung beweisen soll.
Nur so lässt es sich auch erklären, dass viele streng religiöse
Menschen die religiöse Kunst und überhaupt die Kunst verachten.
Sie brauchen eben für ihr Leben diese Ergänzung nicht. Sie haben
die Wahrheit, deshalb kann ihnen der Schein nichts nützen.
Und auch eine andere Thatsache findet dadurch ihre Erklärung,
nämlich die, dass man auch religiöse Kunstwerke geniessen kann,
die aus einem ganz fremden Glauben hervorgegangen sind. Ob
ein antikes Götterbild oder eine mittelalterliche Madonna ein
echtes Kunstwerk ist, empfindet man auch wenn man selbst kein
Heide und kein Katholik ist. Unser christlicher Standpunkt gegen¬
über der religiösen Kunst des Altertums und unser protes¬
tantischer gegenüber der des Mittelalters ist nichts als eine
grosse künstlerische Illusion. Und wenn diese Erzeugnisse eines
längst vergangenen religiösen Glaubens noch immer unser Ent¬
zücken erregen, so ist das wohl ein sicherer Beweis, dass nicht
der Inhalt, sondern die Illusionskraft das Dauernde und Ewige an
der Kunst ist.
Gerade bei der religiösen Kunst lässt sich die Notwendigkeit
einer starken Illusion auch vom Standpunkt der Kirche sehr