Schwurgerichtshof, vor dem das Verbrechen bestraft wird, die Un¬
schuld an den Tag kommt.
Auch diese Theorie fand deshalb keinen Anklang, und zwar
besonders bei denen, die von der Welt eine andere Auffassung
hatten. Diese sagten nicht mit Unrecht: In Wirklichkeit triumphiert
die sittliche Weltordnung durchaus nicht immer. Sehr häufig
bleibt das Unrecht unbestraft und die Tugend unbelohnt. Deshalb
muss auch die Tragödie ihre Motive so wählen, dass dabei die
Schlechtigkeit der Welt zum Ausdruck kommt. Der Held muss
in ihr untergehen, obwohl er gut und edel ist, weil eben das Gute
und Edle in der Welt immer den Kürzeren zieht. Die Tragödie soll
uns die Welt im Spiegel zeigen. Man soll sehen: So schlecht
sind die Menschen, so wenig thut die göttliche Vorsehung, um
die Schlechtigkeit zu bestrafen und die Tugend zu belohnen.
So entwickelte sich also neben der optimistischen eine pessi¬
mistische Theorie der Tragödie, und jede von ihnen stützte sich
auf diejenigen Züge des klassischen Dramas, die ihr günstig zu
sein schienen. Das konnte sie auch sehr gut, denn die meisten
Tragödien enthielten Züge, die sowohl im einen wie im anderen
Sinne gedeutet werden konnten. Dabei machte man sich aber
nicht klar, dass beide Theorien doch eben nur unter Voraus¬
setzung der Richtigkeit der ihr zu Grunde liegenden Welt¬
anschauungen richtig sein konnten. Da nun keine Weltanschauung
den wissenschaftlichen Beweis ihrer Richtigkeit führen kann, der¬
artige Überzeugungen auch meistens gar nicht die Folge philo¬
sophischer Spekulation, sondern Sache des Temperaments sind,
so konnte auf diesem Wege natürlich auch keine normative
Theorie der Tragödie zu stände kommen. Denn was dem einen
nach seiner Weltanschauung zweifellos richtig schien, schien dem
anderen nach der seinigen zweifellos falsch.
Man müsste danach von Rechts wegen annehmen, dass ein
Mensch mit optimistischer Weltanschauung nicht im stände wäre,
eine Tragödie mit pessimistischem Inhalt zu gemessen und um¬
gekehrt. Da nun aber thatsächlich jeder ästhetisch gebildete Mensch
jede gute Tragödie gemessen kann, mag das Gute nun darin siegen
oder nicht, so hätte man, meine ich, auf den Gedanken kommen
sollen, dass der Inhalt als solcher, seiner ethischen Qualität nach,
nicht ausschlaggebend für den ästhetischen Genuss sein kann, son¬
dern dass die Entscheidung in dem Verhältnis des Inhalts (und der
Form) zu unserer Vorstellung vom Leben zu suchen ist. Haben wir