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macht, seine Toilette beendigt, den Hausschlüssel einsteckt u. s. w.
Dabei ist seine Aufmerksamkeit ganz auf die gehörten Worte ge¬
richtet, die übrigen Handlungen, die er ja wer weiss wie oft aus¬
geführt hat, vollzieht er automatisch, und da sie nicht im Blick¬
punkt seines Bewusstseins stehen, vergisst er sie zum Teil. So sagt
er, auf der Strasse angekommen, er müsse noch einmal herauf,
weil er seinen Hausschlüssel vergessen habe. Er geht wieder in
sein Zimmer, findet den Hausschlüssel nicht, greift schliesslich
in die Tasche und merkt, dass er ihn doch hat, da er ihn vorher
ganz richtig eingesteckt hatte.
Das ist ein ganz normaler Fall von Zerstreutheit. Die Auf¬
merksamkeit war eben während des Einsteckens des Hausschlüssels
ganz auf die Erzählung des Freundes gerichtet, deshalb war diese
automatisch vollzogene Thätigkeit der Aufmerksamkeit entgangen,
also auch dem Gedächtnis entschwunden. Warum man dabei zwei
„Bewusstseine“ annehmen müsse, zwischen denen eine geheime
unbewusste Leitung bestehe, begreife ich nicht. Und noch weniger
begreife ich, inwiefern diese Zerstreutheit, die ja überdies gar kein
Lustgefühl, sondern höchstens das Gegenteil zur Folge haben
könnte, zur Erklärung des Kunstgenusses irgendwie beitragen soll.
Wir können also aus dieser Vergleichung des künstlerischen
Schaffens mit den unbewussten und halbbewussten Thätigkeiten nur
schliessen, dass unsere Auffassung des Kunstgenusses als einer be¬
wussten Selbsttäuschung das Richtige trifft. Der ästhetische Zu¬
stand, sowohl der rezeptive als auch der produktive ist eine der
bewusstesten Thätigkeiten, die es giebt. Sein charakteristisches
Kennzeichen ist geradezu das fortwährende Auf dem qui vive stehen
aller Gehirnzentren und Nervenkomplexe, das fortwährende ab¬
wechselnde Inthätigkeittreten derselben, wodurch die Entstehung
dauernder Zwangsvorstellungen und längerer einseitiger Vorstellungs¬
reihen vermieden wird. Man könnte das Bewusstsein während des
ästhetischen Genusses etwa mit einerWache vergleichen, vor der
immer ein Posten unter dem Gewehr steht und eine gesteigerte
Aufmerksamkeit entfaltet, während die übrige Wachmannschaft
ruht und sich dadurch für ihre künftige Thätigkeit frisch erhält.
Übrigens soll nicht geleugnet werden, dass wenn auch die
Grenzen zwischen psychopathischen und normalen Erscheinungen
wie z. B. zwischen Halluzinationen und (künstlerischen) Illusionen
begrifflich genau fixiert werden können, diese Zustände doch in
der Praxis leicht ineinander übergehen. Ebenso wie die Begriffe