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seits der Technik, in das Bild überträgt. Er weiss deshalb auch
ganz genau zu sagen, welche objektiven Züge den Beschauer zu
dem eigentümlichen ästhetischen Schaukelspiele anregen. Und diese
repräsentieren in seinen Augen das Kunstschöne. Als blosse tech¬
nische Mittel, z. B. Pinselstriche angesehen sind sie illusionsstörend.
Sieht man sie aber als das an, was sie bedeuten, auf die Wirkung,
die sie erzeugen, so sind sie illusionserregend.
Nun wird man freilich fragen: Wenn die Bedingung der Kunst¬
schönheit die Übereinstimmung der Formen mit einer Erinnerungs¬
vorstellung bestimmter Naturformen ist, wie kommt es, dass man
auch Porträts von Menschen schön finden kann, die man gar
nicht kennt, die man niemals gesehen hat, ja die vielleicht schon
seit Jahrhunderten tot sind? Widerspricht das nicht der Illusions¬
theorie, beweist es nicht schlagend, dass die höhere Schönheit in
der „malerischen“ oder „dekorativen“ Auffassung besteht?
Keineswegs. Es verhält sich hiermit vielmehr ebenso wie mit
einer freikomponierten Landschaft, deren Original der Beschauer
nie gesehen hat, das vielleicht überhaupt so wie es im Bilde dar¬
gestellt ist, gar nicht existiert. Auch hier findet bei der ästhetischen
Anschauung ein Wechsel zwischen zwei Vorstellungsreihen statt.
Nur ist der Inhalt der zweiten Vorstellungsreihe nicht eine be¬
stimmte einzelne Person, sondern die Natur überhaupt mit all ihren
dem Beschauer bekannten und in diesem Falle vorschwebenden
Möglichkeiten individueller Bildung.
Jeder hat im Leben schon eine grosse Zahl von Menschen
gesehen und hat daher, je nach dem Grade seiner Aufmerksamkeit
und seines Formengedächtnisses, ein allgemeines Gefühl für das
beim Menschen Mögliche in Bezug auf Formen, Farben, geistigen
Ausdruck u. s. w. Er weiss, dass gewisse Formen des Gesichts
gern in Zusammenhang mit einer gewissen Haut- und Haarfarbe
Vorkommen, dass ein bestimmter Körpertypus häufig mit einem
bestimmten Gesichtstypus verbunden ist, welche Nasenformen mit
diesen, welche mit jenen Stirnformen zusammen vorzukommen
pflegen. Leonardo und Dürer haben darüber, wie ihre Karikaturen
zeigen, besondere Studien gemacht. Aber auch der Laie hat, durch
die fortwährende Beobachtung der Natur, ein gewisses, wenn auch
vielleicht dunkles Gefühl dafür, dass die Natur selbst bei ihren
Anomalien nicht ganz willkürlich verfährt. Sogar im schein¬
baren Zufall herrschen gewisse Gesetze, und diesen Gesetzen muss
ein Porträt entsprechen, wenn es ohne persönliche Kenntnis des