Volltext: Das Wesen der Kunst. Grundzüge einer realistischen Kunstlehre. Erster Band (1)

mehr in der Richtung auf den Ausdruck als auf die schöne Form voll¬ 
zieht, woraus sich ebenfalls eine gewisse Superiorität des Ausdrucks 
zu ergeben scheint. Ich sage das, obwohl ich für meine Person die 
klassische Musik höher schätze als die moderne. Vielleicht ist das 
deshalb zu bemerken nicht überflüssig, weil daraus hervorgeht, dass 
sich meine Theorie weniger auf Grund meines persönlichen Ge¬ 
schmacks als aus logisch-psychologischen Erwägungen entwickelt hat. 
Die wichtigste Form, deren sich die Musik bedient, ist der 
Rhythmus. Auch dieser, auf den ich hier noch einmal zurück¬ 
kommen muss (vgl. S. I45), hat eine doppelte Seite, eine sinnliche 
und eine illusionistische. Jene entspricht der subjektiven Bewegungs¬ 
illusion, diese der objektiven Bewegungs- und Gefühlsillusion. 
Die sinnliche Seite des Rhythmus bezieht sich auf die Ausführung 
oder Vorstellung einer angenehmen Eigenbewegung, die illu¬ 
sionistische auf die Vorstellung irgend einer sei es angenehmen 
sei es unangenehmen Bewegung anderer und auf die Vorstellung 
des mit einer solchen zusammenhängenden Ausdrucks. Nach 
dem früher Ausgeführten ist es selbstverständlich, dass ich den 
höheren ästhetischen Reiz des Rhythmus nicht in der Annehmlich¬ 
keit der ihm entsprechenden Bewegung, sondern in seiner Aus¬ 
drucksfähigkeit überhaupt sehe. Natürlich beschränke ich das Wort 
Rhythmus dabei auf die Künste des Geschehens, Tanz, Musik und 
Poesie. Wenn man in den Künsten des Raumes von Rhythmus 
spricht, so ist das immer eine uneigentliche übertragene Anwendung 
des Wortes. Man meint dann gar nicht Rhythmus, sondern viel¬ 
mehr Reihung, alternierende Reihung, Symmetrie u. s. w. Unter 
Rhythmus im strengen Sinne des Wortes verstehen wir immer 
nur den in gleichen Zeitabständen erfolgenden Betonungswechsel 
bei Bewegungen, Tönen und Worten. 
Uber die Entstehung des Rhythmus sind schon viele Hypothesen 
aufgestellt worden. Ich muss mich hier begnügen, meine Ansicht 
kurz zu entwickeln. Der Ursprung des Rhythmus ist wie 
ich glaube in dem Bau und der Bewegung des mensch¬ 
lichen Körpers zu suchen. Die Bewegungen des Menschen 
sind in Bezug auf ihren Zweck von dreierlei Art: Entweder sie 
dienen einem bestimmten Zwecke oder sie sind zwecklos, d. h. 
werden nur um ihrer selbst willen ausgeführt, oder es verbindet 
sich bei ihnen beides. Die erste Art wollen wir als Arbeits¬ 
bewegungen, die zweite als Spielbewegungen, die dritte als kombi¬ 
nierte Arbeits- und Spielbewegungen bezeichnen. Im allgemeinen
	        
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