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dieser Ding. Darum sieh sie fleissig an, rieht dich darnach und
geh nit von der Natur in deim Gutgedunken, dass du wollest
meinen, das Besser von dir selbs zu finden. Dann du wirdest
verführt. Dann wahrhaftig steckt die Kunst in der
Natur, wer sie heraus kann reissen, der hat sie.
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Uberkommst du sie (d. h. lernst du sie), so wirdet sie dir viel
Fehls nehmen in deinem Werk . . . Aber je genauer dein Werk
dem Leben gemäss ist in seiner Gestalt, je besser dein Werk er¬
scheint. Und dies ist wahr. Darum nimm dir nimmermehr für,
dass du etwas besser mügest oder wellest machen, dann es Gott
seiner erschaffnen Natur zu würken Kraft gegeben hat. Dann
dein Vermügen ist kraftlas gegen Gottes Geschöff (Schaffen).“ „Je
genauer ein menschlich Bild dem lebendigen natürlichen Wesen
nachgemacht würd, je besser dein Werk erscheint zu einem sol¬
chen Gebrauch, darzu du sein notdürftig bist, auserwählt.“ Das
heisst also, man soll ein für den betreffenden Fall charakteristisches
Modell auswählen und dieses möglichst genau nachahmen. „Je
genäuer man einer hübschen Gestalt aus dem Leben und Natur
mit Abmachen nachkummt, je besser und künstlicher dasselb Werk
würd. So einer genau dem Leben mit Abmachen nachkummt,
dass es ihm gleich sech und der Natur ähnlich würdet, und sun¬
derlich wenn das abgemacht würdet hübsch ist, so wirdet es
künstlich gehalten und als es wert ist wol gelobt.“
Natürlich ist diese Auffassung auch in ihrer Art einseitig, da
ja der Maler sehr oft in die Lage kommen kann, ohne Modell zu
zeichnen, oder gar ganz frei zu erfinden, was übrigens Dürer sehr
wohl gewusst hat. Aber der richtige Kern seiner Lehre ist eben
die Forderung des natürlichen Eindrucks. Diesen Eindruck
glaubte die deutsche Malerei in Dürers Zeit nicht anders als durch
eine genaue Nachahmung der Einzelheiten erreichen zu können.
Wir wissen jetzt längst, dass dies falsch war, dass übertriebene
Genauigkeit die Wirkung eines Bildes geradezu verderben kann.
Die Entwickelung des malerischen Stils hat uns gezeigt, dass es
ganz bestimmte Mittel der Vereinfachung und Veränderung des
Vorbilds giebt, durch die der Eindruck der Natur auf der Fläche
viel besser erzeugt wird, als durch genaues Nachpinseln aller De¬
tails. Deshalb dürfen wir die Angaben Dürers, die sich auf dieses
beziehen, nicht als normativ nehmen. Normativ dagegen ist
das, was er damit erreichen will, was ihm als Ideal vorschwebt,
nämlich die Illusion der Natur.