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dass sich all Ding vergleichlich reimen (charakteristisch zusammen
passen) und nit fälschlich versammelt werden. Dann vergleichliche
Ding acht man hübsch. Deshalb soll auch in einem jedlichen
Bild in all seinen Teiln der Glieder ein gleichmässig Alter ange¬
zeigt werden. Und nit dass das Haupt von eim Jungen, die Brust
von eim Alten und Hand und Füss von eim mittelmässigen Alten
abgemacht werde. Und dass das Bild nit vorn jung, hinten alt
und auch dem widersinns gemacht wirdet. Denn so es der Natur
entgegen ist, so ist es bös. Doch hüt sich ein Jedlicher, dass er
nichts Unmüglichs mach, das die Natur nit leiden künn. Es war
dann Sach, dass Einer Traumwerk wollt machen. In solchem mag
Einer allerlei Creatur untereinander mischen.“
Deshalb fällt es auch Dürer gar nicht ein, einen bestimmten
„Kanon“ der menschlichen Gestalt als den schönsten hinzustellen,
eine ideale Schönheit, eine Normalproportion zu konstruieren.
Sondern er giebt, wie ich ebenfalls nachgewiesen habe, eine Menge
verschiedener Typen, zwischen denen er dem Maler die Wahl
lässt. Jeder dieser Typen ist in bestimmtem Sinne charakteristisch,
d. h. er findet sich bei Menschen eines bestimmten Charakters.
Dürer kleidet das nach der Auffassung der Zeit in die Form, dass jede
Körpergattung einer Komplexion oder einer bestimmten Mischung
aus verschiedenen Temperamenten entspreche. „Aus solchem folgt,
dass sich ein gewaltiger Künstner auf ein Art allein nit geben soll,
sunder dass er in vielerlei Weg und zu allerlei Art geübt und
darin verständig sei. Daraus kummt dann, dass er machen würdet
welcherlei Geschlecht der Bild, die man von ihm begehrt. Und
alsdann aus den obgemeldten Meinungen (d. h. nach den oben ange¬
gebenen Proportionen) mag einer zornig, gütig und allerlei Gestalt
wissen zu machen, und ein jedliche Gestalt kann für sich selbs gut
gemacht werden. Also ist durch die Mass von aussen allerlei Ge¬
schlecht der Menschen anzuzeigen, welche feurig, lüftig, wässrig oder
irdischer Natur sind.“ Die Proportionen haben also für ihn nur
Wert insofern sie ein Mittel sind, die Figuren ihrer Bedeutung
entsprechend zu charakterisieren. Sie treten nicht in den Dienst
des Schönen, sondern des Charakteristischen.
Da es mit dem absolut Schönen nach seinem eigenen Geständ¬
nis nichts ist, muss Dürer den Reiz der Kunst natürlich in etwas
anderem erblicken. Und dies andere ist, abgesehen von der leben¬
digen Charakteristik, die möglichst genaue Darstellung der Natur.
„Aber das Leben in der Natur gibt zu erkennen die Wahrheit