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Bewegungsvorstellungen handelt, nicht auf der subjektiven, son¬
dern auf der objektiven Bewegungsillusion beruht.
Diesen Schluss übertragen wir nun auch auf die Gefühls¬
illusion. Denn es ist nur die Konsequenz dieser Beweisführung,
dass wir annehmen müssen, auch bei der Gefühlsillusion ver¬
setzten wir nicht sowohl uns selbst in das betreffende Gefühl,
sondern schauten vielmehr einen anderen, d. h. den Dichter, den
Schauspieler, den Tänzer u. s. w., als einen von diesem Gefühl er¬
füllten an. Der Zuschauer des Teil ist, wenn er den grausamen
Wüterich Gessler reden hört, nicht selbst ein grausamer Wüterich,
sondern er stellt sich nur diesen Schauspieler als grausamen
Wüterich vor. Der Zuschauer des Käthchens von Heilbronn ist,
wenn er das demütige, selbstlose Käthchen sieht, durchaus nicht
selbst demütig und selbstlos, sondern stellt sich nur diese Schau¬
spielerin als demütige und selbstlose Liebhaberin vor. Beide
wissen ganz genau, dass diese Künstler das betreffende Gefühl
nicht wirklich haben, sondern sich nur hineinversetzen. Aber sie
stellen sich vor, sie hätten es. Und diese Anschauungsillusion
bereitet ihnen Genuss. Sobald wir aber den Kern des
Genusses in dieser Anschauungsillusion erkennen,
können wir uns den Inhalt derselben vorstellen wie
wir wollen. Das Gefühl, das wir dann anschauen, kann schlecht,
die Bewegung, die wir sehen, schwierig, unangenehm oder ge¬
fährlich sein, das ist ganz einerlei. Unser Genuss besteht ja nicht
darin, dass wir uns gerade in dieses Gefühl und diese Bewegung
mit unserem eigenen Ich hineinversetzen, sondern darin, dass wir
andere, die dieses Gefühl nicht haben, uns als von ihm erfüllt
vorstellen, andere, die diese Bewegung nicht ausführen, als sie
ausführend denken. Indem wir so das Gefühl und die Bewegungs¬
vorstellung von unserer Person ablösen und auf die angeschauten
Menschen übertragen, wird den hässlichen Gefühlen und Be¬
wegungen ihre unlusterregende Kraft genommen, der ganze Vor¬
gang lediglich in die Vorstellung verlegt, vergeistigt, entmaterialisiert.
Es scheint, dass gerade dies das Charakteristische des ästhetischen
Genusses ist, womit es auch gut übereinstimmt, dass die ästhetische
Anschauung überhaupt von allem Reinkörperlichen, Reinsinnlichen
losgelöst ist, sich in einer höheren geistigen Sphäre bewegt.
Natürlich ist dabei nicht ausgeschlossen, dass neben diesem
rein psychischen Vorgang, der unter allen Umständen lusterregend
ist, auch noch ein halb psychischer, halb körperlicher nebenhergeht,