754
Abschnitt C. Capitel XIII.
diese Einsicht, wenn sie überzeugend und kräftig genug dazu
ist, im Stande sein, meinen Ehrgeiz, für diesen Fall wenigstens,
aufzuheben. Nun sind aber alle Psychologen darüber einig, dass
eine solche Aufhebung nicht durch directen Einfluss der
Vernunft auf das aufzuhebende Begehren zu denken sei, sondern
nur indirect durch Motiyation oder Erregung eines ent¬
gegengesetzt gerichteten Begehrens, welches nun
seinerseits mit dem ersten in eine Collision kommt, deren Re¬
sultat ist, dass beide sich zur Null paralysiren. Nur auf die¬
selbe Weise ist die Aufhebung des positiven Weltwillens zu
denken, den Schopenhauer den Willen zum Leben nennt. Nicht
die bewusste Erkenntniss direct kann den Willen mindern oder
aufheben, sondern sie kann nur einen entgegengesetzt gerichte¬
ten, also negativen Willen erregen, der um seinen Stärkegrad
den positiven Willen vermindert. Ganz unstatthaft ist hiernach
Schopenhauer’s Lehre von dem in einer ganz anderartigen Er-
kenntnissweise bestehenden Quietiv des Wollens, vor welchem
die Motive unwirksam werden sollen, und welches der einzige
mögliche Fall eines Eingreifens der transcendenten Freiheit des
Willens in die Welt der Erscheinungen sein soll. (Vgl. W. a.
W. und V. Bd. IL S. 476—477.) Solche unbegreifliche, durch
nichts zu rechtfertigende Wunder sind bei unserer Auffassung
überflüssig. Wie schön sagt dagegen Sehelling (II. 3., S. 206):
„Selbst Gott kann den Willen nicht anders als durch ihn selbst
besiegen.“
Wenn bei dem Kampf der speciellen Begehrungen oftmals
zwei Begehren trotz des Kampfes keine gegenseitige Aufhebung
bewirken, so kommt dies entweder daher, dass sie nur theil-
weise entgegengesetzt sind, theilweise aber verschiedene Seiten¬
ziele verfolgen, also ihre Richtungen gleichsam nur einen Winkel
bilden ; oder aber es kommt daher, dass das eine Begehren zwar
in der That fortwährend vernichtet wird, aber ebenso fort¬
während aus dem fortbestehenden Grunde des Unbewussten
instmctiv neu geboren wird, so dass der Schein entsteht,
als wäre es gar nicht alterirt worden. Bei der Opposition der
Willensbejahung und Willensverneinung ist der Gegensatz so
mathematisch streng, dass ersterer Fall gewiss nicht eintreten
kann, und für ein sofortiges Wiederauftauchen des Weltwillens
nach seiner totalen Vernichtung fehlt wenigstens die Analogie
mit dem einzelnen Begehren vollständig, weil bei letzterem der