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Abschnitt C. Capitel XII.
Das Römerthum hatte zwar diese Selbstverläugnung besessen
und geübt, aber nur zu Gunsten der Machtvermehrung der
engsten Stammesgemeinschaft, es hatte also gleichsam den indi¬
viduellen Egoismus zu einem Stammesegoismus erweitert und mit
diesem den Phantomen der Ehrsucht und Herrschsucht nachgejagt;
jetzt aber handelt es sich um Erweiterung des egoistischen zu
einem kosmischen Bewusstsein und Streben, des selbst süchti¬
gen Selbstgefühls zum selbstverläugnenden Allgefühl, zu
dem Bewusstsein, dass das Individuum wie die Nation nichts als ein
Rad oder eine Feder in dem grossen Weltgetriebe sind, und keine
Aufgabe haben, als als solche ihre Schuldigkeit zu thun, um
den Process des Ganzen, auf den es allein ankommt, zu fördern.
Zu einem solchen Gedanken, zu einer solchen Selbstver-
läugnung war natürlich die alte Welt nicht reif, und es war
gleichsam nur ein äusserlicher Nebengrund für das Interim des
Christenthums, dass noch so viele technische Fortschritte bis
zur möglichen Eröffnung einer Weltcommunication zu machen
waren, und dass die künftigen Grundelemente des tellurischen Ge¬
meinlebens, die Nationalstaaten, erst noch zu schaffen waren.
Abgesehen von alle diesem zeigt sich aber auch vom ersten
zum zweiten Stadium der Illusion ein entschiedener Fort¬
schritt zur Wahrheit, nämlich in der gewonnenen Ueber-
zeugung, dass das Glück nicht in der Gegenwart des Processes
liegt, ebenso wie in dem Uebergange vom zweiten zum dritten Sta¬
dium der Fortschritt zur Wahrheit in der erlangten Einsicht be¬
steht, dass der Weg zur Erlösung von dem Elend der Gegen¬
wart erstens nicht innerhalb, sondern ausserhalb des Indivi¬
duums und zweitens nicht ausserhalb des Weltprocesseszu
suchen ist, sondern imWeltprocesse selbst liegt, dass also
die zukünftige Erlösung der Welt nicht in der Enthaltung
vom Leben, sondern in der Hingabe an?s Leben zu finden
ist, dass aber wiederum diese Hingabe an’s Leben, welche um
seiner selbst willen eine Verkehrtheit wäre, nur um der Zukunft
des Processes des Ganzen willen einen Sinn habe.
Dieser Uebergang vom zweiten zum dritten Stadium ist frei¬
lich bei der menschlichen Schwäche kaum anders zu denken, als
durch ein theilweises Verkennen letzterer Wahrheit, d. h. als
durch einen theilweisen Rückfall in das erste Stadium der Illu¬
sion; denn wie soll der Mensch zu einem genügend starken
Glauben an ein zukünftiges Glück auf Erden gelangen, wenn