Zweites Stadium der Illusion.
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Erscheinung enthüllt, zeigt sich, dass jeder tiefer gefasste
Theismus in Pantheismus umschlägt. — Die Fortdauer ist, wie
wir sahen, selbst im Theismus dem Individuum nur so lange
garantirt, nicht etwa bis Gott den Willen fasst, es zu vernichten,
sondern als Gott seine es beständig neu setzende Action stetig fort-
dauern lässt. Nun könnte man die abstracte Möglichkeit hervor¬
heben, dass Gott das Individuum bis an’s Ende der Welt fort-
dauern lassen könne, und sich wohl gar auf die Analogie der
Atome berufen, die, obwohl auch blosse Manifestationen göttlichen
Willens doch jedes ein continuirliches Dasein vom Anfang bis
zum Ende der Welt hätten. Hiergegen ist aber auf Cap. C.
VI. u. X. zu verweisen, in welchen der Begriff des Individuums
analysirt, und der grosse Unterschied zwischen dem einfachen
Willensact im Atom und dem sehr zusammengesetzten Individuum,
das wir Mensch nennen, dargethan ist. Der Atomwille kann
stetig sein, weil er einfach ist; das Strahlenbündel von Willens¬
acten des Unbewussten, welches auf ein bestimmtes organisches
Individuum gerichtet ist, kann unmöglich längere Dauer haben,
als der Gegenstand, auf den es sich richtet. Hat der Organismus
sich aufgelöst und das organische Individuum seine Existenz
eingebüsst, hat in Folge dessen das Bewusstsein aufgehört, das
sich an diesen Organismus knüpfte und in der molecularen An¬
ordnung der Hirnmolecule desselben seinen Gedächtnissvorrath
aufgespeichert und die bestimmende Naturgrundlage seines Indi-
vidualcharacters besessen hatte, dann ist das Strahlenbündel von
Actionen des Unbewussten, welches diesem Individualgeiste die
metaphysische Grundlage bot (subsistirte), gegenstandslos, und
dadurch als fortgesetzte Action unmöglich geworden; das Ver¬
mögen dieser Willensacte wird dadurch nicht alterirt, aber dieses
ist eben kein individuell Seiendes mehr, sondern ruht im All-
Einen unbewussten Wesen. Würde selbst ein gleicher Organismus
geschaffen, auf den das Unbewusste gleiche Actionen richten würde,
so wäre das doch ein andres Individuum, nicht dasselbe wie
das gestorbene, da die Continuität der Existenz fehlte. Ebenso
ungerechtfertigt wie die Behauptung wäre, dass vor der organi¬
schen Entwickelung des Ei’s und des Spermatozoiden, aus denen
ein künftiger Mensch entsteht, dieser Mensch ein individuelles
psychisches Vorleben habe, ebenso ungerechtfertigt wäre die An¬
nahme, dass nach Zerstörung des Organismus dieser Mensch ein
individuelles psychisches Nachleben haben könne. Was da fort-
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