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Abschnitt C. Capitel IX.
verkennen, dass, wie überall, wo es anfänglich ist, so auch für
die Entwickelung des Ei’s das Unbewusste durch vorher her¬
gestellte Mechanismen sich sein Eingreifen möglichst erleichtert
und auf materielle Minimalwirkungen reducirt hat. Es findet
also in den männlichen und weiblichen Zeugungsstoffen allem
Vermuthen nach eine von ihm selbst in früheren Stadien absicht¬
lich hineingelegte Disposition vor, welche diese Stoffe befähigen,
sich unter der nöthigen psychischen Leistung leichter nach der
durch die elterlichen Organismen vorgezeichneten Richtung, als
nach irgend einer anderen zu entwickeln. Da nun das Unbewusste
es sich stets der dispositionell vorgezeichneten Entwickelungs¬
richtung, als der im Allgemeinen seinen Vorgesetzten Zwecken
entsprechenden und die geringsten Realisationswiderstände dar¬
bietenden Richtung folgt, wenn es keinen besonderen Grund hat,
für bestimmte Zwecke eine Abweichung vorzunehmen, und da
ein solcher Grund für die gewöhnliche Zeugung, wo es nur
auf die Erhaltung der Art ankommt, fehlt, so schlägt es
bei der psychischen Leitung der embryonalen Entwickelung für
gewöhnlich den durch die von ihm selbst den Zeugungsstoffen
vorher imprägnirten Eigenschaften als den leichtesten bezeieh-
neten Weg ein, d. h. das Erzeugte gleicht den Erzeu¬
gern, und diese Erscheinung nennt man die „Vererbung oder
Erblichkeit der Eigenschaften“.
Von einer solchen allgemein nützlichen Regel weicht das
Unbewusste um so weniger gern ab, je allgemeiner ihre Geltung
ist, z. B. von den anorganischen Naturgesetzen gar nicht. Da
nun die Schwierigkeiten schon gross genug sind, welche durch
das Hinausgehen über die alte Art und das Hinzufügen neuer
Charactere entstehen, so wird das Unbewusste suchen, sich den¬
jenigen Schwierigkeiten möglichst zu entziehen, welche es bei
der Vernichtung solcher Charactere der alten Art zu überwinden
hätte, die in die neue Art nicht mit hinüber genommen werden
können oder sollen, und wird es zu diesem Zwecke die neue
höhere Art aus solchen Arten hervorzubilden suchen, bei denen
nur neue Charactere hinzuzufügen, aber möglichst wenig
oder gar keine bestehenden positiven Charactere zu vernichten
sind, d. h. aus relativ unvollkommenen, mit wenig spe-
cifischen Charaeteren versehenen, der weiteren Entwickelung viel
Spielraum bietenden Arten, nicht aber aus bereits hoch ent¬
wickelten, stark differenzirten und mit vielen und bestimm¬
ten Charaeteren ausgestatteten Arten.