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Abschnitt B. Capitei XL
2. Das Unbewusste giebt im Distincte jedem Wesen das,
was es zu seiner Erhaltung nöthig braucht, und wozu sein be¬
wusstes Denken nicht ausreicht, z. B. dem Menschen die In-
stincte zum Yerständniss der Sinnes Wahrnehmung, zur Sprach-
und Staatenbildung und viele andere.
3. Das Unbewusste erhält die Gattungen durch Geschlechts¬
trieb und Mutterliebe, veredelt sie durch die Auswahl in der Ge¬
schlechtsliebe, und führt die Menschengattung in der Geschichte
unverrückt dem Ziele ihrer möglichsten Vollkommenheit zu.
4. Das Unbewusste leitet die Menschen beim Handeln oft
durch Ahnungen und Gefühle, wo sie sich durch bewusstes
Denken nicht zu rathen wüssten.
5. Das Unbewusste fördert den bewussten Denkprocess durch
seine Eingebungen im Kleinen wie im Grossen, und führt die Men¬
schen in :.er Mystik zur Ahnung höherer, übersinnlicher Einheiten.
6. Es beglückt die Menschen durch das Gefühl für’s Schöne
und die künstlerische Production. —
Vergleichen wir nun Bewusstes und Unbewusstes mit ein¬
ander, so springt zunächst in die Augen, dass es eine Sphäre
giebt, weiche überall dem Unbewussten allein überlassen bleibt,
weil sie dem Bewusstsein ewig unzugänglich ist ; wir finden
zweitens eine Sphäre, welche bei gewissen Wesen nur dem Un¬
bewussten gehört, bei anderen aber auch dem Bewusstsein zu¬
gänglich ist; sowohl die Stufenleiter der Organismen, als der
Gang der Weltgeschichte kann uns belehren, dass aller Fort¬
schritt in Vergrösserung und Vertiefung der dem Bewusstsein
aufgeschlossenen Sphäre besteht, dass also das Bewusstsein in
gewissem Sinne das Höhere von beiden sein muss. Betrachten
wir ferner im Menschen die sowohl dem Unbewussten, als dem
Bewusstsein angehörige Sphäre, so ist soviel gewiss, dass Alles,
was irgend das Bewusstsein zu leisten vermag, vom Unbewussten
ebenfalls geleistet werden kann, und zwar immer noch treffen¬
der, und dabei schneller und für das Individuum bequemer, da
man sich für die bewusste Leistung anstrengen muss, während
die unbewusste von selbst und mühelos kommt. Diese Bequem¬
lichkeit, sich dem Unbewussten, seinen Gefühlen und Eingebungen
zu überlassen, kennen auch die Menschen recht wohl, und darum
ist bei allen faulen Köpfen die bewusste Vernunftanwendung in
Allem und Jedem so verschrieen. Dass das Unbewusste wirk¬
lich alle Leistungen der bewussten Vernunft überbieten kann,
das lässt sich nicht nur von vornherein aus dem Hellsehen des